Ist der neue Glaubenspräfekt „häretisch“?

Victor Manuel Fernández wurde von Papst Franziskus zum Glaubenspräfekten der katholischen Kirche ernannt.

Die Ernennung von Erzbischof Victor Manuel Fernández, genannt Tucho, zum neuen Präfekten der Glaubenskongregation, nunmehr Glaubensdikasterium genannt, läßt intern in Rom die Wogen hochgehen. Der Unmut über die jüngste Personalentscheidung des Papstes hat in der Kirche wie eine Bombe eingeschlagen. Der Eindruck ist dabei wortwörtlich zu nehmen, denn so wie Bomben eine Wüste der Zerstörung hinterlassen, so wird die Weichenstellung gesehen. Tucho Fernández selbst gibt sich „überrascht“, doch in Wirklichkeit wurde er bereits 2017 als möglicher Nachfolger des damals von Franziskus auf unfeine Art vor die Tür gesetzten Kardinals Gerhard Müller genannt.

Franziskus hatte sich den ersten Ferientag im Vatikan als Zeitpunkt ausgesucht, um die Überraschung platzen zu lassen. Eine Überraschung war es allerdings weniger für seinen ältesten „Pupillo“, wie in Rom ein Protegé genannt wird, sondern für jenen Teil der Kirche, in Rom wie in der Welt, der noch nicht bergoglianisch umgebaut wurde. Selbst für Bereiche des bergoglianischen Lagers kam die Berufung wie ein harter Schlag. Fernández’ Name wurde zwar seit Jahren ganz hoch gehandelt, doch gab es erhebliche Widerstände gegen ihn, auch unter Bergoglianern. Die Motive dafür sind sehr unterschiedlicher Art.

Unter glaubenstreuen Katholiken, ob Prälaten, niederer Klerus oder Laien, herrscht blankes Entsetzen. Tucho Fernández hängt seit 2013 der Ruf des Protobergoglianers nach. Anders ausgedrückt: Er gilt als Negativbeispiel schlechthin für eine wichtige Personalentscheidung des regierenden Papstes.

Beim Einzug des neuen Kirchenoberhauptes fand sich die Personalie Fernández gleich ganz oben auf der päpstlichen Agenda und war mit einem Vorgehen verbunden, das zu einem „Markenzeichen“ des aktuellen Pontifikats werden sollte, nämlich mit einer Säuberung.

Tucho Fernández gehörte bereits in Buenos Aires zum engsten Kreis um den damaligen Kardinal Bergoglio. Mehr noch, er war dessen rechter Arm und engster Mitarbeiter. Fernández stieg zum wichtigsten Berater und vor allem zum Redenschreiber des Primas von Argentinien auf. Seinen Ghostwriter nahm Franziskus 2013 mit nach Rom. Es war ein Umzug mit einer Vorgeschichte. 

Franziskus wollte seinen Protegé als Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien einsetzen. Aufgrund der schwachen und defizitären theologischen Leistungen, die „Tucho“ an den Tag gelegt hatte, besonders seiner teils geradezu als „schräg“ angesehenen Publikationen (sein Hauptwerk handelt vom Küssen), stufte ihn die dafür zuständige römische Bildungskongregation für eine so wichtige Führungsposition als ungeeignet ein, immerhin ging es um die ranghöchste katholische Bildungseinrichtung Argentiniens mit Einfluß auf den spanischsprachigen Raum. 

Diese Ablehnung brachte Kardinal Jorge Mario Bergoglio zur Weißglut. So konsequent und eisern er Freunde nicht fallen läßt, selbst wenn sie tief stürzen, so unerbittlich und nachtragend ist seine Vergeltung gegen jene, die sich ihm in den Weg stellen. Kardinal Bergoglio beharrte mit solchem Nachdruck und ließ über seine römischen Arme entsprechende Lobbyarbeit betreiben, bis Rom nachgab. Die Operation nahm mehr als zwei Jahre in Anspruch, doch am Ende erhielt Tucho Fernández die Bestätigung für das Rektorenamt. Bergoglio hatte sich durchgesetzt. Das genügte aber nicht.

Kaum war Bergoglio zum Papst Franziskus gewählt, erhob er Fernández zum Titularerzbischof. Der Akt gehört in die lange Reihe demonstrativer Handlungen. Franziskus ließ alle Welt, jedenfalls die kirchliche, wissen, was er für große Stücke auf jenen Mann hält, den Rom unter Papst Benedikt XVI. nicht nur als ein zu kleines Licht am Theologenhimmel betrachtete, sondern vielmehr für höhere Ämter für nicht geeignet erachtete. Die Ernennung zum Titularerzbischof war an kein neues Amt gebunden. Es war eine reine Auszeichnung, wie das Umhängen eines Ordens nach dem Motto: ‚Seht her, wer nun etwas zählt‘. 

Franziskus wollte noch mehr damit signalisieren, was eine Vorahnung auf das erlaubte, was unter seinem Pontifikat auf die Kirche zukommen sollte. Er demonstrierte damit seinen Sieg über das Rom jenes „langen Pontifikats“, jener „restaurativen Phase“, als welche die beiden Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in progressiven Kreisen verachtet wurden. Kurz darauf ließ Franziskus jene Kurienbeamten vor die Tür setzten, die in der römischen Bildungskongregation – mit gutem Grund – Widerstand gegen die Ernennung von Tucho Fernández geleistet hatten. Das war noch, kurienintern, das weit deutlichere Signal. Es gab allen, die es sehen wollten – und an der Kurie war man damals besonders hellhörig, wie sich der neue Papst orientieren würde – zu verstehen, daß Franziskus nicht nur seinen Willen durchzusetzen gedenkt, sondern Vergeltung an jenen üben wird, die sich ihm entgegenstellen. Seither weiß man an der Kurie, wie man sich einzurichten hat. Die Folgen blieben nicht aus und waren nicht zum Vorteil für die Kirche.

Tucho Fernández schrieb nach dem Umzug Bergoglios nach Rom auch weiterhin dessen Reden. 

Bezeichnend für diese Kooperation ist das Schlußdokument der Vollversammlung der Konferenz der Bischofskonferenzen von Lateinamerika (CELAM) 2007 in Aparecida, für das Kardinal Bergoglio verantwortlich zeichnete. Franziskus kam als Papst wiederholt darauf zu sprechen und dabei geradezu ins Schwärmen. Wenn das Stichwort Aparecida fällt, dringt bei Franziskus durch, daß er dieses Dokument als seine bedeutendste programmatische Leistung erachtet. Daher ist es von Bedeutung zu wissen, daß das Aparecida-Dokument von Fernández geschrieben wurde, natürlich nach den Wünschen und Vorgaben Bergoglios. Auf derselben Grundlage funktioniert die Zusammenarbeit auch in Rom.

Vor sieben Jahren kam es dann zu einem Zwischenfall, der sich heute als ein Schlüsselereignis der jüngsten Kirchengeschichte erweist, auf das man in Zukunft wohl noch oft zurückgekommen wird. Als die Positionen zum nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia zusammenprallten, fällte der damalige Glaubenspräfekt Kardinal Müller ein vernichtendes Urteil, indem er den päpstlichen Hauptberater Tucho Fernández als „häretisch“ bezeichnete. Ein Jahr später war Müller, der wegen der sprunghaften Launen des Papstes sich immer mehr als Gegengewicht positionierte und dies auch zu sagen begann, nicht mehr Glaubenspräfekt.

Als Franziskus 2017 Müller von einem Tag auf den anderen entließ, nachdem dessen fünfjähriges Mandat abgelaufen war, für das Müller von Papst Benedikt XVI. nach Rom berufen worden war, ging sofort das Gerücht um, daß Franziskus nun seinen argentinischen Ghostwriter an die Spitze der in progressiven Kreisen, auch in der Bischofsresidenz von Buenos Aires, so ungeliebten Glaubenskongregation setzen werde. Dazu kam es nicht, weil es starke Bedenken gegen einen so radikalen Affront gegeben hatte. Der stets taktierende Franziskus schreckte schließlich zurück. Die Entlassung Müllers, der Benedikt XVI. so nahestand, auch noch mit der Ernennung von Tucho Fernández zu krönen, schien ihm selbst zu gewagt. Immerhin lebte Benedikt XVI. noch, und so lange das der Fall war, war Franziskus von einer fast paranoiden Angst beseelt, der deutsche Papst könnte sich an die Spitze einer Gegenbewegung stellen oder eine solche zumindest unterstützen. Im Sprachgebrauch von Santa Marta wurde damals ein solches Szenario als „Mißbrauch“ bezeichnet. Um zu vermeiden, Benedikt direkt zu kritisieren, hieß es, der ehemalige Papst könnte von „unverantwortlichen“, „restaurativen“ Kräften „mißbraucht“ werden.

Im Frühjahr 2021 kamen aus dem Umfeld des päpstlichen Hofstaates jedoch erste Signale der Entspannung, will sagen: Franziskus war zur Meinung gelangt, daß der Verfall von Benedikt XVI. so weit fortgeschritten war, daß von seiner Seite kein Widerstand mehr zu erwarten war. Der Alptraum, der über dem bergoglianischen Pontifikat lastete, begann sich zu verflüchtigen. So kam es im Juli 2021 zum Stoß in das Herzstück des Vorgängerpontifikats, indem Franziskus die Motuproprien Ecclesia Dei von Johannes Paul II. von 1988 und Summorum Pontificum von Benedikt XVI. von 2007 aufhob und durch Traditionis custodes ersetzte, das den überlieferten Ritus und die Tradition seither an der Gurgel packt.

Seit dem Tod von Benedikt XVI. zum Jahresschluß 2022 ist das derzeitige Pontifikat „unbelastet“ und „schattenfrei“.

Glaubenspräfekt Luis Ladaria Ferrer, damals schon Sekretär der Glaubenskongregation, rückte 2017 ins Amt des Präfekten auf. Franziskus erhob ihn zum Kardinal und begnügte sich mit dieser „kleinen“ und „internen“ Rochade, um die Müller-Nachfolge zu regeln. Es genügte ihm deshalb, weil Glaubenspräfekt Ladaria Jesuit wie Franziskus ist, der Papst von ihm also unbedingten Gehorsam erwarten konnte – und darin nicht enttäuscht wurde. Kardinal Ladaria versuchte zwar Widerstand zu leisten, wo es ihm von der Sache her unbedingt geboten schien, wie zum Beispiel gegen das eigenmächtige deutsche Vorpreschen für Homo-Segnungen, schwieg aber, als ihn Franziskus damit im Regen stehen ließ. Ladarias Widerstand verpuffte so, wenn es ihn wirklich gab, weitgehend im Nichts.

Tucho Fernández ist ein bergoglianischer Soldat – manche sprechen lieber von einem Lakaien – jedenfalls ist er nicht irgendeiner, sondern jener, der Franziskus am nächsten steht. Er war es, der die „Öffnungen“ des umstrittenen nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia nicht nur verteidigte, sondern die Katze aus dem Sack ließ, was ohne Zustimmung von oben und genaue Kenntnis der päpstlichen Intentionen undenkbar gewesen wäre – und schließlich war „Tucho“ ja auch der Schattenautor von Amoris laetitia. Er unterstützte die öko-feministischen Amazonas-Wendungen und nahm den Schlag gegen die Tradition vorweg, den Franziskus längst geplant hatte.

Zuvor stand Tucho Fernández aber erneut im Mittelpunkt einer Personalentscheidung, wie sie Franziskus gefallen: Entscheidungen, die hochsymbolisch aufgeladen sind. Franziskus emeritierte 2018, sobald es das Kirchenrecht erlaubte, seinen einstigen Gegenspieler im argentinischen Episkopat, Erzbischof Hector Ruben Aguer, den Erzbischof von La Plata. Msgr. Aguer und Jorge Mario Bergoglio waren beide Weihbischöfe von Antonio Kardinal Quarrencino, dem einstigen Erzbischof von Buenos Aires, gewesen. Bis heute wird von manchen darüber gerätselt, warum sich Quarrencino für Bergoglio als seinen Nachfolger entschied und von Rom als Koadjutor erbat und nicht für Aguer. Die Antwort ist jedoch nicht so kompliziert, wie argentinische Quellen bestätigten: Quarrencino stand der progressiveren Position Bergoglios einfach näher als der konservativen Aguers. So begann Bergoglio den Aufstieg, der ihn 2013 in das Konklave nach Rom führte, während Aguer „nur“ Erzbischof des zweitwichtigsten Bischofssitzes von Argentinien wurde.

2018 begnügte sich Franziskus aber nicht, Aguer die für Metropoliten kirchenübliche Verlängerung zumindest bis zur Vollendung des 77. Lebensjahres zu gewähren. So wie er 2013 mit der Erhebung von Tucho Fernández zum Titularerzbischof zu verstehen gegeben hatte, wie sehr er diesen schätzt, gab er 2018 der Welt zu verstehen, wie wenig er hingegen Aguer achtete. 

Dessen Emeritierung verlief weit dramatischer, als nach außen bekannt wurde. Die Zahl der Sticheleien, Feindseligkeiten und Demütigungen, die Msgr. Aguer dabei über sich ergehen lassen mußte, wurde noch nicht geschrieben.

Doch nicht genug damit: Zum Nachfolger Aguers ernannte Franziskus ausgerechnet Tucho Fernández und vollzog damit jenen doppelten Affront, vor dem er im Jahr zuvor bei der Entlassung von Kardinal Müller noch zurückgeschreckt war.

Als Erzbischof von La Plata hofften einige in Rom, den päpstlichen Ghostwriter „versorgt“ zu wissen und los zu sein. Nur wenige Monate nach seiner Amtseinführung nahm Tucho Fernández als Erzbischof von La Plata jenen Schritt vorweg, der bald für die ganze Weltkirche folgen sollte. 2019 eliminierte er das Motu proprio Summorum Pontificum für seine Diözese. Eine Begründung dafür lieferte er nicht wirklich. Knapp zusammengefaßt läßt sich das Vorgehen sinngemäß wohl im Satz festhalten: „Die Katholiken brauchen keinen überlieferten Ritus und die Kirche braucht keine traditionsverbundenen Katholiken“.

Es war klar, daß Tucho Fernández einen so radikalen Eingriff nicht ohne Wissen und Zustimmung von Franziskus vorgenommen hätte. Vielmehr sahen Beobachter hinter der Maßnahme Franziskus selbst, der in dem argentinischen Bistum einen Versuchsballon steigen ließ – und sie sollten recht behalten.

Er galt im Frühjahr 2023 als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Kardinal Mario Poli als Erzbischof von Buenos Aires. Der Weg zum Kardinalspurpur wäre damit voraussichtlich für einige Jahre versperrt. Als am vergangenen 26. Mai bekannt wurde, daß Franziskus nicht ihn, sondern Jorge Ignacio García Cuerva zum neuen Erzbischof von Buenos Aires ernannt hatte, raunten Stimmen, daß Tucho Fernández für eine römische Aufgabe auserkoren sei, wie es schon ursprünglich geheißen hatte. Das kurze Zwischenspiel in Argentinien, mit der Zerschlagung der Tradition in seinem Bistum, diente der Erstellung eines formal lupenreinen Curriculum vitae. Es fehlte „Tucho“ an pastoraler Leitungserfahrung, dem berühmten „Geruch der Schafe“, oder was jedenfalls in Santa Marta dafür gehalten wird. Diese Lücke wurde geschlossen und der Aufstieg ging weiter, bis an die Spitze der Glaubenskongregation. In der bergoglianischen Vorstellungswelt gibt es für den päpstlichen Protegé ‒ neben der nun greifbaren Kardinalswürde und Ehrenpositionen ‒ als echten Aufstieg nur mehr … das Petrusamt.

Nach fünf Jahren an der Spitze der argentinischen Erzdiözese am Rio de la Plata kehrt Tucho Fernández triumphierender denn je nach Rom zurück. Damit rückt auch ein baldiges Konsistorium näher, von dem schon seit wenigen Wochen in Rom die Rede ist. Der neue Präfekt des Glaubensdikasteriums wird im kommenden September sein Amt antreten. Mit dem Kardinalspurpur wird ihn Franziskus bald schmücken, wodurch er in den Kreis der Papstwähler aufsteigen wird. 

Tucho Fernández bleibt somit das Negativbeispiel der Personalentscheidungen, die Franziskus der Kirche aufzwingt. So hat das Pontifikat begonnen, so bleibt es auch heute, im elften Jahr. Franziskus, der Soziologe – vielmehr der Politiker ‒ auf dem Stuhl Petri wird künftig flankiert durch den Theologen „ohne Eigenschaften“ in der Funktion des Glaubenspräfekten der heiligen Mutter Kirche.

Eine nicht nur in Regierungsakte gegossene, sondern personifizierte Katastrophe.

Quelle: katholisches, G. N.(auszugsweise), Bild: MiL

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert