Die phantasievollen Blüten des neuen Heidentums

Die Entchristlichung führt zur Rückkehr des Heidentums

Esoterik und „Tellurismus“: Muttergöttin, Neo-Templer, Freimaurer… (Teil 1)

Von Pater Paolo Maria Siano*

In den vergangenen Monaten war ich in Osimo in den Marken, wo ich Menschen und Kreise entdeckt habe, die, fasziniert von der Esoterik, sogar heilige Orte, die uns kostbar sind, wie Kirchen, Kathedralen und Marienheiligtümer, in einem esoterischen oder gnostischen Geist besuchen und neu interpretieren. Verschiedene Studien zeigen, daß die Stadt Osimo über einen tiefen esoterischen Humus verfügt, der im Untergrund des historischen Zentrums gut zu erkennen ist… Hier einige Ergebnisse meiner Forschung.

Am 9. Oktober 2014 ist Roberto Mosca im Alter von 55 Jahren im Krankenhaus von Pesaro an Leukämie gestorben. Der 1958 in Osimo geborene Unternehmer, Archäologe und Schriftsteller hatte die Sektion Osimo des Archeoclub konzipiert und gegründet. Als leidenschaftlicher Kenner des Hypogäums von Osimo gründete er die Gruppe Osimo Sotterranea (Unterirdisches Osimo) und setzte sich für die kulturelle Aufwertung der Stadt und ihres Untergrundes ein, die er bis ins Detail kannte.

Sehen wir uns einige der Bücher von Mosca, des studierten Kunststofftechnikers mit der Leidenschaft für Geschichte und Archäologie, und seiner Forscherkollegen an.

1. Grotten, Ritter, Logen

Im Jahr 2006 veröffentlichte der Verlag Osimo Edizioni das Buch von Roberto Mosca und Angelo Renna (Architekt, damals stellvertretender Vorsitzender des Kulturvereins Osimo Sotterranea): „Le Grotte, i Cavalieri, le Logge“ („Die Grotten, die Ritter, die Logen“). Ein fesselnder Krimi. Auf der hinteren Umschlagseite findet sich eine Zusammenfassung dieser Studie über die Stadt Osimo: „Skulpturen und allegorische Darstellungen in einem riesigen unterirdischen Labyrinth, das von einflußreichen Persönlichkeiten des gesellschaftlichen und politischen Lebens genutzt wurde, die aber gezwungen waren, sich im Geheimen zu treffen, weit weg von neugierigen Augen und Ohren in einer Stadt des Kirchenstaates, die einst die wichtigste Stadt des Piceno und ein Zentrum orientalischer Kulte war, dann ein Versteck der Templer war“.

Auf Seite 5 danken die Autoren auch Prof. Fabrizio Bartoli. Wir werden diesem Namen noch begegnen.

In der Einleitung zeigen die Autoren wenig Kenntnis und Wertschätzung des katholischen Glaubens und der katholischen Theologie: Sie sehen einen „Widerspruch“ darin, daß „die herkömmlichen Evangelien, die frühestens ein Jahrhundert nach dem Tod Jesu geschrieben wurden, nicht den geringsten bibliographischen Hinweis enthalten…“ (S. 7). In Wirklichkeit sind die Evangelien früher entstanden und bedürfen keiner Bibliographie, da sie Primärquelle sind.

Zu den alten Templerorten in Italien gehört auch Osimo (vgl. S. 15). Im Abschnitt „Osimo und die Templer“ ist zu lesen, daß in den unterirdischen Gängen der Altstadt, „in einem unglaublichen Labyrinth von Tunneln und Höhlen“, Symbole und Skulpturen zu finden sind, die an alte heidnische und auch esoterische Religiosität erinnern. Dann wird die kleine Kirche San Filippo in der Contrada Casenuove (Osimo) erwähnt (vgl. S. 22–25), auf die ich im letzten Absatz dieses Artikels zurückkommen werde.

Im Kapitel „Die Quintessenz der Esoterik“ wird Osimo als „Cult-Stadt für Liebhaber der Esoterik“ (S. 63) bezeichnet, da es in den unterirdischen Gängen (Via Campana, Via Pompeiana…) eine Art „Mysterienweg“ gibt. Unter dem Palazzo Simonetti finden sich auch Symbole der Templer. Die Familie Simonetti, die im Laufe der Geschichte „Kardinäle, Gelehrte, Carbonari und eine Enrichetta, Ehefrau von Cesare Gallo, Mitglied der Freimaurerloge Gioseffina von Mailand, des schottischen Ritus, hervorbrachte“ (S. 65). Die Autoren schreiben, und ich denke, sie haben recht damit: „Der wahrscheinlichste Grund für das Vorhandensein dieser Allegorien und Symbole scheinen Zusammenkünfte von geheimen Zirkeln zu sein“ (S. 68).

Im Kapitel „Tellurismus und die Schwarze Madonna“ stellen die Autoren eine Verbindung zwischen dem Marienkult und dem heidnischen Kult der Großen Mutter, der Göttin Kybele, her. Die Hypogäen, die den Schoß der Mutter symbolisieren, sind Orte „magischer“ Energien (vgl. S. 91f). Kybele war „die tellurische Gottheit schlechthin, die Große Mutter der Fruchtbarkeit“ (S. 92). Über das Fest des Covo zu Ehren der Madonna von Campocavallo (einem Ortsteil von Osimo) heißt es: „In diesem Fest sind Überbleibsel sehr alter Praktiken und Kulte zu sehen. Die Darbringung von Getreide an die Madonna erinnert an das Getreideopfer, das die Alten zu Ehren der Göttin Kybele darbrachten“ (S. 93).

Mosca-Renna behaupten, daß das Wappen auf der ersten Seite des Kodex der mittelalterlichen Statuten von Osimo genau die Göttin Kybele darstellt (vgl. S. 93), die im vorchristlichen Osimo verehrt worden sei (vgl. S. 93–95). Die Autoren vermuten eine gewisse Verbindung zwischen der Schwarzen Madonna von Loreto, der Großen Mutter oder Isis, und der Maria Magdalena der Gnosis, derjenigen, die die wahren Geheimnisse Jesu überliefert haben soll (vgl. S. 104–107). Die „universelle Göttin“ habe viele Namen: „Kybele, Diana, Isis“… Die schwarzen Madonnen seien mit Hypogäen verbunden, die Orte der tellurischen Energien seien, die „therapeutische und thaumaturgische Wirkungen“ haben sollen (vgl. S. 107).

Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich darauf hinweisen, daß das Fest del Covo von Campocavallo in Wirklichkeit 1939 begann, im August stattfindet, seinen Ursprung in der christlichen und marianischen Frömmigkeit gläubiger Bauern hat und rein gar nichts mit der antiken Kybele zu tun hat. Auch ist der Madonnenkult mitnichten eine Fortführung von Matriarchatskulten aus heidnischer Zeit.

Im Kapitel „Geheimbünde und die neuen Templer“ lesen wir, daß in Osimo im 17. Jahrhundert die Quietistensekte des Priesters Don Giacomo Lambardi und im 19. Jahrhundert Anhänger der Freimaurerei und der Carboneria aktiv waren (vgl. S. 112–117). Das Hypogäum des Palazzo Campana enthält Darstellungen, die auf alchemistisches und rosenkreuzerisches Gedankengut und wahrscheinlich auf Initiationsriten zurückgehen, die mit der religiösen Orthodoxie nicht vereinbar waren. Die Autoren weisen darauf hin, daß die Geheimhaltung zu jener Zeit unerläßlich gewesen sei, um nicht der strengen Inquisition zum Opfer zu fallen (vgl. S. 122f).

Mosca-Renna schreiben, daß die „modernen lokalen Templer“ ihren Sitz „im historischen Zentrum“ von Osimo hatten und die alte Templerkirche S. Filippo de Plano nutzten (vgl. S. 124).

Im Februar 2006 interviewte Roberto Mosca zwei Neo-Templer: Fabrizio Bartoli aus Osimo, Ritter des S.M.T.H.O., und Gabriele Petromilli aus Ancona, verantwortlich für die Region Marken des S.M.T.H.O. (Supremus Militaris Templi Hierosolymitani OrdoOberster Ritterorden des Tempels von Jerusalem) (vgl. S. 125).

2. Dreifacher Mauergürtel

Im Jahr 2008 veröffentlichte der Verlag Terra Nuova in Florenz das Buch von Roberto Mosca und Alfonso Rubino: „La Triplice Cinta“ („Der dreifache Mauergürtel. Die Geometrie der Schönheit in den Werken der Meister aller Zeiten“). Die Autoren danken auch darin Fabrizio Bartoli (vgl. S. 4). Mosca nennt sich selbst einen Agnostiker (vgl. S. 5). Agnostiker ist an sich jemand, der die Unmöglichkeit bejaht, die Existenz eines personalen Gottes zu kennen. Zusammen mit dem Ingenieur Rubino, der als „Gelehrter der Heiligen Geometrie“ vorgestellt wird, glaubt Mosca aber an die Existenz von „tellurischen Energien“, kosmischen Energien, die mit Orten verbunden sind… Ebenso werden „Geobiologie“ und „Wünschelrutengehen“ erwähnt (vgl. S. 5f).

Auch in diesem Buch geht es um Osimo, wobei die bereits bekannten Themen (Hypogäen, esoterische Symbole, Riten und Initiationsgruppen) wiederholt werden, jedoch mit einer „Neuheit“, denn auch das 1892 vom Architekten Costantino Costantini entworfene Marienheiligtum von Campocavallo würde Vorstellungen der „Heiligen Geometrie“ (Sonnenzyklen usw.) widerspiegeln, ein Wissen, das auch die Templer kannten und bewahrt hätten (vgl. S. 7f). Na ja!

Mosca verweist auf Fabrizio Bartoli, „einen Templer der Vereinigung O.S.M.T.H. (Ordo Supremus Militaris Templi Hierosolymitani, Oberster Ritterorden des Tempels von Jerusalem; hatte er inzwischen die Zugehörigkeit gewechselt?) von Osimo“ (S. 43), der in seinem profanen Leben „Physiker, Computerlehrer, Gelehrter der orientalischen Philosophie und ein Leben lang Umweltschützer“ ist (S. 43).

Darstellung des sogenannten „Dreifachgürtels“ in unterirdischen Teilen der Altstadt von Osimo

Rubino macht deutlich, daß es in heiligen Räumen, die nach der „Heiligen Geometrie“ gebaut sind, möglich ist, „mit der kosmischen Intelligenz in Verbindung zu treten“ (S. 66, 76).

Ein wichtiges Symbol der „Heiligen Geometrie“ sei der „Dreifachgürtel“, ähnlich einem Labyrinth, dessen Zentrum fundamental ist: Es sei das „heilige Zentrum“ oder „Omphalos“ (vgl. S. 70).

Rubino sieht die Stadt Osimo als „Symbol“ für den „Licht-Schatten“-Dualismus und fügt hinzu: „Der unterirdische Teil ist Mutter Erde, Isis. Der überirdische Teil ist Vater Sonne, der im Modell durch den Obelisken-Osiris (männliches Prinzip) enthüllt wird“ (S. 79).

Rubino sieht Osimo als eine esoterische Stadt: Die „Osimaner der Vergangenheit“ hätten Licht und Dunkelheit, männliche und weibliche, praktische und kosmische Intelligenz verbunden, so daß Osimo „ein heiliger Ort“ sei (S. 92).

Das „Geheimnis der Templer“ sei das „Geheimnis des Dreifachgürtels“: drei ineinander liegende Quadrate, die ein gemeinsames Zentrum, den Omphalos, hätten und dem vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci entsprechen würden (vgl. S. 80–83). Rubino behauptet den „Dreifachgürtel“ im unterirdischen Osimo und im Heiligen Haus von Loreto, dem berühmten, nur wenige Kilometer entfernten Marienheiligtum (vgl. S. 83–87).

Rubino zufolge „entspringt die Eucharistie der Idee, daß die Menschheit der Leib Christi ist“ (S. 88) und das geometrisch-sakrale Modell des Dreifachgürtels/Vitruvianischen Menschen „integriert das Männliche und das Weibliche in Mann und Frau“ (S. 89); eine solche Integration begünstige „die Evolution des Menschen“ (vgl. S. 89).

Am 27. April 2007 besuchten Mosca und Rubino das Heiligtum von Campocavallo, von dem sie mehrere Fotos veröffentlichten. Sie erhielten sogar per E‑Mail Pläne des Heiligtums von dem Ingenieurbüro, das mit der Restaurierung beauftragt war (vgl. S. 101–103). Laut Rubino spiegele dieses Heiligtum die Heilige Geometrie des vitruvianischen Menschen wider, und in einigen architektonischen Details meint Mosca Hinweise auf den „sephirotischen Baum“ der „jüdischen Kabbala“ (vgl. S. 106) zu erkennen.

Ich frage mich: Ist das wissenschaftliche Realität oder ist es nicht vielmehr gnostische und esoterische Fantasie?

Den Autoren zufolge stamme die „Heilige Geometrie“ aus dem alten Ägypten und werde im Geheimen von „Zirkeln freimaurerischen und geheimnisvollen Ursprungs“ weitergegeben (vgl. S. 119).

Ivano (ein Freund von Mosca), ein „Pionier der Bioarchitektur“, „erfolgreicher Wünschelrutengänger“ und „Geobiologie-Forscher“ (vgl. S. 146) begibt sich ins Heiligtum von Campocavallo und hält im Zentrum des sechszackigen Sterns mit der Inschrift „Fidelium Impensis“, der auf dem Boden unter der Kuppel abgebildet ist. Dort fühlt sich Ivano „wie in einem Kondensator zweier großer gegensätzlicher Kräfte, eine von oben, eine von unten“ (S. 146).

Laut Mosca habe der Architekt des Heiligtums von Campocavallo, Costantino Costantini, den Dualismus Kirche–Freimaurerei überwinden wollen, indem er eine von der „Heiligen Geometrie“ inspirierte Templerarchitektur für ein „spirituelles Wachstum der Menschheit“ vorgelegt habe (vgl. S. 203). Mosca läßt den Leser vermuten, daß Costantini ein Freimaurer des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus gewesen sei (vgl. S. 229).

Der „Dreifachgürtel“ steht also, geht es nach den Autoren, mit dem „Tellurismus“ in Verbindung: „Das heißt, wo der Dreifachgürtel vorhanden ist, ‚spürt‘ man eine stärkere Energie. Oft sind an diesen Orten Tempel, Altäre, Kapellen, Kirchen, Klöster, Basiliken errichtet worden oder sie sind nach volkstümlicher Überlieferung besonders wichtige Orte für ihre thaumaturgische Kraft“ (S. 223).

3. Zum Licht im Schatten

Im Mai 2014 veröffentlichte Mosca in seinem eigenen Verlag Spring Color aus Castelfidardo sein mit Alberto Mazzocchi geschriebenes Buch: „Alla luce nell’ombra“ („Zum Licht im Schatten. Templer in Mittelitalien von 1167 bis heute“). In dem Buch werden Informationen und Theorien aus den beiden oben genannten Büchern wiedergegeben. Alberto Mazzocchi, ein Zahnarzt aus Bergamo, pendelt zwischen Bergamo und Osimo und ist Eigentümer der alten Templerkirche und des Präzeptoriums von San Filippo de Plano in Osimo. Das Buch enthält die „Präsentation“ von Fabrizio Bartoli, der, ausgehend von den Hypogäen von Osimo, „eine ganzheitliche Sichtweise“ vorschlägt, die die „häretischen Lehren, die sich von der kanonischen katholischen christlichen Kultur unterscheiden“, einschließt (vgl. S. 3f).

Im dritten Kapitel, „Das Haus von Nazareth in Loreto und die gnostische Philosophie“, verbinden Mosca-Mazzocchi den Marienkult von Loreto und Campocavallo mit dem Kult der antiken Göttinnen und „Großen Mütter“ des Heidentums, einschließlich der Göttin Kybele, die auch in Osimo und Umgebung verehrt worden sei (vgl. S. 52–59).

Mosca-Mazzocchi zufolge sei auch das Kruzifix in der Kathedrale von Osimo „gnostisch“ (S. 60), da es die Vereinigung „des männlichen und des weiblichen Prinzips“ (S. 64) darstellt: Es hat nämlich „weibliche Züge“, „den Körper einer Frau“, „spitz zulaufende Arme und Beine und eine gut ausgeprägte Brust“ (vgl. S. 66). In diesem Zusammenhang schreiben Mosca-Mazzocchi: „Osimo war wahrscheinlich der Sitz ketzerischer Philosophien und heterodoxer Lehren, wie die Hunderte von Skulpturen und Flachreliefs beweisen, die die Tunnel des unterirdischen Teils der Stadt bevölkern, […]. An diesen Orten könnten sich gnostische Lehren entwickelt haben, die zunächst sogar innerhalb der Kirche verbreitet waren und dann als häretisch angesehen und sogar verfolgt wurden, wie im Fall der Katharer […]“ (S. 67).

Vielleicht entstand aus diesem Umfeld und diesen Ideen die Idee des Kruzifixes von Osimo, da für die Gnostiker das göttliche Eine sowohl das männliche als auch das weibliche Prinzip enthielt“ (S. 68).

Im vierten Kapitel „Gotische Architektur und heilige Geometrie“ verweisen die Autoren auf die Geobiologie, auf „Feng-Shui“, auf „ein ‚Gefühl‘, das die mittelalterlichen Baumeister mit denen der antiken heidnischen Gebäude verband“ (S. 70). Sogar die gotischen Bauten würden durch die „Sensibilität für elektromagnetische Felder, tellurische Ströme“ usw. „Protokolle widerspiegeln, die mit einer Mischung aus Weisheit, Kunst und Magie kodifiziert wurden“ (S. 70), mit der „Aufgabe, die verschiedenen Energien, die von unten kamen, mit den ‚hohen‘, kosmischen und spirituellen, Energien auszugleichen“ (S. 70). Die Baumeister und Templer hätten Symbole der „Heiligen Geometrie“, der gnostischen Philosophie und der Magie in Kultbauten, Kirchen und Kathedralen eingeprägt (vgl. S. 71).

Das fünfte Kapitel befaßt sich mit den Neo-Templer-Orden. Es wird auch der O.S.M.T.H. erwähnt, der eine Kommende in Osimo hat, in der Fabrizio Bartoli Mitglied ist (vgl. S. 93, 95).

Das siebte Kapitel ist dem Heiligtum von Campocavallo gewidmet (S. 125–135) und wiederholt, was im vorherigen Buch von Mosca-Rubino enthalten ist. Mosca-Mazzocchi stellen den Architekten des Heiligtums erneut fast als Freimaurer oder als esoterischen Templer dar: „Costantino Costantini, auf welcher Seite stand er? Mit der kirchlichen Hierarchie oder mit der Freimaurerei? Wahrscheinlich stand er auf keiner Seite, aber er versuchte, eine universelle Sprache zu verwenden, die von den alten Meistern der Kunst und der Architektur benutzt wurde, die wie er aus der Logik der Dualismen aussteigen wollten, um ein geistiges Wachstum der Menschheit zu erreichen“ (S. 134f).

Costantini „ging wie die Templer im Laufe der Jahre über das Spiel der Fraktionen hinaus und versuchte, eine universelle Sprache zu verwenden, die von verschiedenen Meistern der Geschichte in vielfältigen Formen für ein spirituelles Wachstum der Menschheit verwendet wurde“ (S. 138).

Ein Anhang ist der kleinen Kirche von San Filippo de Plano im Ortsteil Casenuove in Osimo gewidmet. Mosca-Mazzocchi glauben, daß sich diese Kirche an einem der „Hohen Orte“ befindet, „ausgestattet mit besonderen Energien“, „subtilen Energien“, die bei denen, die sich dort aufhalten, Wohlbefinden erzeugen können (vgl. S. 139f). Mosca-Mazzocchi vermischen christliche Frömmigkeit mit Glaubensvorstellungen magischer und heidnischer Art: „positive Energien“, „tiefe Resonanz zwischen Himmel und Erde und zwischen Seele und Körper“, „Genius Loci“ (vgl. S. 144). Schließlich erwähnen sie das gnostische Evangelium nach Philippus, in dem gelehrt wird, daß die Menschheit ursprünglich „androgyn“ gewesen sei, dann mit der Differenzierung der Geschlechter die menschliche Degeneration begonnen habe… Das Ziel des gnostischen Christentums sei die Wiedervereinigung der männlichen und weiblichen Teile im Eingeweihten (vgl. S. 149).

4. Über den Heiligen Philippus de‘ Plano: Energien, Templer, Tarot, Kabbala

Im Mai 2020 veröffentlichte die Associazione Culturale S. Filippo (Kulturverein St. Philippus, Casenuove, Osimo) die 49seitige Broschüre „Le energie di un Luogo Alto“ („Die Energien eines Hohen Ortes. Hypothesen und Studien: Die Kirche San Filippo de‘ Plano“), verfaßt von Alberto Mazzocchi (siehe vorheriges Kapitel) und Agnese Mengarelli, „Umweltjournalistin“, „leidenschaftliche Esoterikerin“, „Schamanin“, „Wünschelrutengängerin und Geobiologin“, „Expertin für Domotherapie, Feng Shui“, Autorin des Blogs „La Sibilla del Conero“ (vgl. Rückseite der Broschüre).

Mazzocchi-Mengarelli schreiben, daß die Templerkirche ein Ort „von großer Energie“, „von Energien“ ist, mit einer „magischen Atmosphäre“ (vgl. S. 1); es ist ein Ort „sehr starker Energieströme, die in der Lage sind, auf die menschliche Gesundheit einzuwirken“ (S. 4). Es ist ein Ort der „elektromagnetischen Energien und der subtilen“ oder „tellurischen“ Energien, die von „Wünschelrutengängern“ wahrgenommen werden können (vgl. S. 15).

Die beiden Autoren sprechen von „kosmischen und tellurischen Energien“, „Wünschelrutengehen“, „Radioästhesie“ (vgl. S. 20–21), „Hartmannsches Netz“, „Strahlung“ (vgl. S. 26–27).

Die zur ehemaligen Templer-Präzeptur gehörende Kirche San Filippo de’Plano

Nach Mazzocchi-Mengarelli seien alle sakralen Gebäude, vom Menhir bis zur Kathedrale, „immer an Orten errichtet, die durch starke kosmisch-tellurische Energien gekennzeichnet sind. Die Tempelbauer aller Epochen haben ihre Techniken immer weiter verfeinert, um die Energien an bestimmten Punkten zu manipulieren, zu lenken und weiterzuleiten. Diese Strahlung erzeugt bei den Gläubigen wichtige Wirkungen, verstärkt ihre Wahrnehmungen und Gebete und verleiht ihnen einen allgemeinen Zustand der Ruhe und des tiefen Wohlbefindens, den auch Nichtgläubige erfahren“ (S. 32).

In Wirklichkeit hängt das christliche Gebet nicht von vermeintlich geheimnisvollen kosmisch-tellurischen Energien ab, sondern von der Gnade Gottes und dem katholischen Glauben der Gläubigen.

Laut Mazzocchi-Mengarelli gebe es Energielinien, die „Ley Lines“: „wie große Energieströme, auf denen Gedankenformen und Ideen um unseren Planeten reisen und ein Kommunikationsnetz zwischen Welten, Sternen und Galaxien schaffen, wo immer die Komplexität des Lebens vorhanden ist“ (S. 33).

Zu den Ley-Linien-Theoretikern gehören der englische Okkultist Dion Fortune und der Schamanenschriftsteller Carlos Castaneda (vgl. S. 34).

Mazzocchi-Mengarelli stellen die Hypothese auf, daß eine Ley-Linie das Heilige Haus von Loreto, das Heiligtum von Campocavallo und die Kirche von San Filippo de’ Plano verbinde (vgl. S. 36–40).

Bezüglich des sechszackigen Sterns, der auf dem Boden des Heiligtums von Campocavallo genau unter der Kuppel angebracht ist, schreiben Mazzocchi-Mengarelli, daß man, wenn man einige Minuten in der Mitte des Sterns verweilt, „eine starke Energie wahrnehmen kann, die nach unserer Erfahrung an manchen Tagen reinigend und entlastend, an anderen Tagen erhebend wirkt und spirituelle Zentrierung schenkt“ (S. 40).

In der Kirche San Filippo de’ Plano könnten, so die Autoren, intensivere Energieerfahrungen wahrgenommen werden: „viele Energiepunkte“, „hohe Energie“, „ein Energiepfad, dem man beim Beten, Meditieren oder einfach beim In-sich-Hineinhorchen folgen kann“, „12 Umdrehungen gegen den Uhrzeigersinn“, „die Hände auf dem Altar ruhen lassen, um sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen“ (vgl. S. 43)… Das Begehen der Templerkirche „verstärkt das Energieniveau derer enorm“ (S. 43).

Warum zwölf Runden zur Aktivierung des „spirituellen Energiepfads“? Die beiden Autoren erklären die Zahl zwölf und zitieren als Autoritäten unter anderen Oswald Wirth und René Guénon (vgl. S. 46), beide Esoteriker und Freimaurer… Und dann verweisen sie auf das 12. Arkanum des Tarot (Der Gehängte: „passive oder mystische Einweihung“), das Große Alchemistische Werk, die 7 Chakren und die 5 Sinne (vgl. S. 47), die Verbindung zwischen den 22 Arkanen des Tarot und den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets und damit „der Kabbala“ (vgl. S. 48).

Um zum Schluß zu kommen. Auch der Text von Mazzocchi-Mengarelli strotzt nur so vor esoterischen Überzeugungen. Die esoterische Suche nach Erfahrungen oder Energieströmen in Kirchen und Heiligtümern birgt die Gefahr, daß scheinbar kulturelle oder fromme Besuche zu esoterischen, abergläubischen oder gar magischen Handlungen oder Ritualen werden. Die Anhänger oder Sympathisanten der Esoterik (Christen oder Nichtchristen, Theisten oder Agnostiker) verstehen unseren christlichen Glauben und unsere christliche Frömmigkeit als eine äußere oder exoterische Hülle für das, was für sie wichtiger, innerer oder esoterischer ist und was wir „GNOSIS“ nennen.

*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. In seiner jüngsten Veröffentlichung geht es ihm darum, den Nachweis zu erbringen, daß die Freimaurerei von Anfang an esoterische und gnostische Elemente enthielt, die bis heute ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.

Quelle: katholisches, G. N. Bild: Corrispondenza Romana/MiL/Wikcommons (Screenshot)

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