Papst Franziskus und die Franziskaner der Immakulata

von Giovanni Turco*

Ich will es so allgemeinverständlich wie möglich darlegen, denn die Angelegenheit ist von großer Bedeutung. Zu den klassischen Rechtsgrundsätzen zählt, daß es keine Strafe ohne Schuld gibt. Die Strafe setzt eine persönliche Schuld voraus. Zudem ist die Strafe nur dann gerecht, wenn sie verhältnismäßig zur Schuld ist. Es geht um Gerechtigkeit, die für alle gleich und unbestechlich sein muß. Es kann nicht von Gerechtigkeit gesprochen werden, wenn Strafen dazu dienen, jemanden schuldlos zu bestrafen oder zu demütigen, oder um jemanden, den keine Schuld trifft, unschädlich zu machen, zu benachteiligen, zu schädigen, zu entehren oder gezielt fälschlich zu kriminalisieren.

Es herrscht keine Gerechtigkeit, wenn jemand, der die Vollmacht hat, diese mißbraucht, um Unschuldige zu verurteilen oder Schuldige unverhältnismäßig hart zu bestrafen. Keine rechtmäßige Strafe kann also ohne direkten Bezug zu einer Schuld verhängt werden. Nur eine objektiv gegebene Schuld kann eine Strafe rechtfertigen. Alles andere ist Willkür. Selbstverständlich muß die Schuld real sein und nicht nur hypothetisch. Ein Rechtsstaat muß es ertragen, daß ein Schuldiger mangels Nachweisbarkeit der Schuld, vielleicht straffrei ausgeht. Kein Rechtsstaat kann es aber dulden, daß ein Unschuldiger bestraft wird, ohne sich selbst in Frage zu stellen und schweren Schaden zu nehmen. Eine wirkliche Schuld muß daher erst nachgewiesen werden.

Zu den Rechtsgrundsätzen gehört es zudem und unabdingbar, daß der Angeklagte sich verteidigen und die Umstände und Beweggründe darlegen kann. Sie sind als mildernde oder erschwerende Umstände vom rechtmäßigen Richter zur Kenntnis zu nehmen und zur Urteilsfindung und Strafbemessung abzuwägen.

Contra factum non valet argumentum

Eine Verurteilung in Abwesenheit wird daher von den meisten Rechtsstaaten abgelehnt selbst dann, wenn sich der Angeklagte vorsätzlich der Strafverfolgung entziehen sollte. Dann ist mit dem Prozeß eben so lange zu warten, bis der Angeklagte sich stellt oder festgenommen werden kann. Die Exekution einer verhängten Strafe ist bei Abwesenheitsurteilen ohnehin nicht möglich. Alles was nach bloßer Rache wirkt, ist vom Rechtsstaat zu vermeiden.

Ein Angeklagter hat zuallererst ein Recht, zu erfahren, was ihm zur Last gelegt wird. Dann hat er ein Recht auf ein faires und gerechtes Gerichtsverfahren. Das gilt sowohl für den weltlichen als auch für den kirchlichen Bereich. Alle Rechtsgrundsätze gelten für beide Bereiche gleichermaßen. Das Urteil muß gemäß dem geltenden Recht von einem unparteiischen Richter einwandfrei ableitbar, logisch, vernünftig und nachvollziehbar begründet sein. Ein Schuldspruch kann nur erfolgen, wenn die Schuld erwiesen und über jeden vernünftigen Zweifel erhaben ist.

Das Kirchenrecht

Die Geschichte von Tyrannen und Revolutionen ist gepflastert mit Episoden des Rechtsbruchs und der Willkürjustiz. Was für die weltliche Gerichtsbarkeit gilt, hat bei der Verteidigung der Rechtsgrundsätze umso mehr für die kirchliche Gerichtsbarkeit zu gelten.

Canon 221 des Codex des Kirchenrechtes (CIC) lautet:

  • 1. Den Gläubigen steht es zu, ihre Rechte, die sie in der Kirche besitzen, rechtmäßig geltend zu machen und sie nach Maßgabe des Rechts vor der zuständigen kirchlichen Behörde zu verteidigen.
  • 2. Wenn Gläubige von der zuständigen Autorität vor Gericht gezogen werden, haben sie auch das Recht auf ein Urteil, das nach Recht und Billigkeit gefällt wird.
  • 3. Die Gläubigen haben das Recht, daß kanonische Strafen über sie nur nach Maßgabe des Gesetzes verhängt werden.

Canon 1608 besagt:

  • 1. Zu jeder Urteilsfällung ist erforderlich, daß der Richter die moralische Gewißheit über die durch Urteil zu entscheidende Sache gewonnen hat.

Und Canon 1321:

  • 1. Niemand wird bestraft, es sei denn, die von ihm begangene äußere Verletzung von Gesetz oder Verwaltungsbefehl ist wegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit schwerwiegend zurechenbar.

Das Kirchenrecht setzt seinerseits das Naturrecht voraus, also das Gute und Richtige als solches. Benedikt XVI. sagte in seiner Rede zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Rota Romana vom 21. Januar 2012: „[…] das wahre Recht ist von der Gerechtigkeit untrennbar. Dieses Prinzip gilt natürlich auch für das kirchliche Gesetz, in dem Sinne, daß es nicht in ein rein menschliches Normensystem eingeschlossen werden kann, sondern mit der rechten Ordnung der Kirche verbunden sein muß, in der ein höheres Gesetz gilt.“

Pater Manelli seit dreieinhalb Jahren unter Hausarrest

Alles Gesagte ist nichts anderes als das, was das Gute verlangt und was man sich vom Gerechten erwarten darf. Damit stellt sich die Frage, warum dem Autor dieser Zeilen, die Einschränkungen der persönlichen Freiheit unverständlich sind, die dem Gründer und Generaloberen der Franziskaner der Immakulata, Pater Stefano Maria Manelli, auferlegt sind. Dazu gehört das Verbot, an Treffen und Veranstaltungen teilzunehmen, in der Öffentlichkeit aufzutreten, Erklärungen abzugeben oder die Brüder seines eigenen Ordens zu treffen (ausgenommen jene, die gerade im selben Konvent wohnen, dem er zugewiesen wurde). Es ist kaum zu bestreiten, daß diese Einschränkungen der Freiheit objektiv den Charakter einer Strafe haben, und zwar ganz unabhängig von den subjektiven Absichten jener, die sie verhängt haben.

Sie werfen zudem ein schlechtes Licht auf das Ansehen des Menschen, des Priesters und des Ordensmannes, der Pater Manelli ist. Wie ist es möglich, daß dreieinhalb Jahre nach dem Dekret der Ordenskongregation, mit dem sie mit Zustimmung von Papst Franziskus, den Orden der Franziskaner der Immakulata unter kommissarische Verwaltung und Pater Manelli unter Hausarrest gestellt hat sowie den Generaloberen des Ordens und die gesamte Ordensleitung abgesetzt hat, noch nicht einmal mitgeteilt wurde, wessen wer überhaupt beschuldigt wird? Nach dreieinhalb Jahren weiß niemand, was der bis dahin so blühende Orden oder irgendein Verantwortlicher verbrochen haben könnte, außer daß er traditionsverbunden und zum überlieferten Römischen Ritus zurückgekehrt war. Nach dreieinhalb Jahren wurde weder Anklage erhoben noch ein regulärer Prozeß durchgeführt oder auch nur angekündigt. Die gemaßregelten, abgesetzten, öffentlich schwersten Zweifeln ausgesetzten und faktisch bestraften Ordensangehörigen, allen voran Pater Manelli, hatten daher auch keine Möglichkeit, sich zu verteidigen gegen was auch immer.

„Wie lautet die Anklage?“

Wie lautet die Anklage? Für welche Vergehen wurden Pater Manellis Freiheitsrechte eingeschränkt? Welche Schuld wurde wann und von wem festgestellt? Welche Möglichkeit hatte Pater Manelli sich zu verteidigen? Fand je irgendwo irgendeine rechtmäßige Verhandlung statt? Gibt es ein rechtmäßig zustande gekommenes Urteil, das welche Schuld festgestellt und wie begründet hat? Auf welcher Rechtsgrundlage werden Pater Manellis Persönlichkeitsrechte seit dreieinhalb Jahren eingeschränkt?

Die fehlende Einhaltung der Rechtsstandards schädigt die Betroffenen zusätzlich, da jeder in der Gerüchteküche beliebig an den Töpfen rühren kann.

Nicht der Autor, sondern die Natur der Gerechtigkeit selbst verlangt nach einer Antwort auf diese Fragen. Ihr kann sich niemand entziehen, da kein Mensch über ihr steht. Gerechtigkeit verlangte Antigone vom Tyrannen Kreon. Dasselbe tat Jesus gegenüber dem Knecht des Hohepriesters, der ihm ins Gesicht schlug:

„Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“

*Giovanni Turco, Professor für Philosophie des Öffentlichen Rechts, Universität Udine

Quelle: katholisches.info Bild: Screens.

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