Zwei Schläge für Benedikt XVI.

Memores Domini unter Aufsicht gestellt

Die vier Memores Domini, die Benedikt XVI. den Haushalt führen, in einer Aufnahme aus dem Jahr 2014.

Auf den Tod des Bruders folgt der Kommissar für seine Haushälterinnen

(Rom) Papst Franziskus stellt die nächste Gemeinschaft unter kommissarische Verwaltung. Zum Kommissar ernannte er einen Jesuiten. In Rom sprechen manche von einem „hinterhältigen“ Schritt, weil er Benedikt XVI. betrifft. Was ist geschehen?

Am 18. Juni ließ das amtierende Kirchenoberhaupt bekanntgeben, daß es auch weiterhin in Corona-Selbstisolierung verharren werde. Bis Jahresende will Franziskus keine Auslandsreisen unternehmen. Alle Pastoralbesuche, die bereits geplant oder in Vorbereitung waren, wurden ersatzlos gestrichen. Ob und wann sie stattfinden werden, ist derzeit nicht bekannt.

Am selben Tag reiste dagegen sein neun Jahre älterer Vorgänger überraschend nach Bayern. Benedikt XVI. verließ erstmals seit sieben Jahren seinen selbstgewählten Rückzugsort in den Vatikanischen Gärten, um seinen älteren Bruder Georg zu besuchen, dessen Gesundheitszustand sich verschlechtert hatte. Nach vier Tagen kehrte der achte deutsche Papst in den Vatikan zurück. Am 1. Juli ist Msgr. Georg Ratzinger im 96. Lebensjahr verstorben.

Der Kommissar für die Memores Domini

Kaum in das Kloster Mater Ecclesiae zurückgekehrt, erwartete Benedikt XVI. eine ebenso ungewöhnliche wie unerfreuliche Überraschung. Die Gemeinschaft Memores Domini, von der Angehörige mit ihm im Kloster leben, den Haushalt führen und ihn betreuen, wurde von Papst Franziskus unter kommissarische Verwaltung gestellt.

Der Ursprung dieser Gemeinschaft geht auf die 1964 von Don Luigi Giussani (1922–2005) gegründete Studentische Jugend zurück, aus der heraus sich ab Ende der 60er Jahre als Teil der Gemeinschaft Comunione e Liberazione (CL) Formen des gemeinschaftlichen Lebens entwickelten. Die Gemeinschaft richtet sich vor allem an die akademische Jugend.

1981 wurden die Memores Domini, ein Name, der sich schwer ins Deutsche übersetzen läßt, denn er meint jene, die Gottes eingedenk sind, vom Bischof von Piacenza als Vereinigung von Gläubigen kirchenrechtlich anerkannt. 1988 folgte die Anerkennung päpstlichen Rechts durch den Päpstlichen Laienrat.

Als Nachfolger von Don Giussani führt der Spanier Don Julián Carrón seit 2005 die Gemeinschaft. Auf der deutschen Internetseite von CL heißt es:

„Die Vereinigung Memores Domini (…) umfasst Mitglieder von CL, die einer Berufung der Ganzhingabe an Gott folgen und gleichzeitig mitten in der Welt leben wollen. Ihre Arbeit verstehen sie als Ort des Gedächtnisses Christi und der Mission. Sie richten sich nach den evangelischen Räten – Armut, Jungfräulichkeit und Gehorsam – und folgen damit der Tradition der Kirche und dem, was Don Giussani gelehrt hat. Die Memores Domini leben in ‚Häusern‘ zusammen, deren Ziel die gegenseitige Erziehung zum Gedächtnis Christi ist.“

Die Angehörigen verpflichten sich zu einem gemeinschaftlichen Leben nach den Evangelischen Räten. Sie konstituieren sich in getrennten Häusern für Männer und Frauen. Die Aufnahme erfolgt nach einem mindestens fünfjährigen Noviziat durch die Profeß. Zu den Regeln gehören „die Stille, das persönliche und gemeinsame Gebet, Armut, Gehorsam und Nächstenliebe“.

Die Memores Domini zählen heute rund 1.600 Angehörige und 400 Anwärter. Sie sind in 32 Staaten vertreten, davon 13 in Europa.

Die ersten Memores Domini kamen 1986 auf Anregung von Nikolaus Prinz Lobkowicz in den deutschen Sprachraum, der damals Rektor der Katholischen Universität Eichstätt war. Heute bestehen Häuser der Gemeinschaft in Eichstätt, München und Köln.

Die „Familie“ von Benedikt XVI.

Eine kleine Gemeinschaft von vier Memores Domini, Loredana, Carmela, Cristina und Rossella, führte Benedikt XVI. bereits während seines Pontifikats den Haushalt und bildete zusammen mit den beiden Sekretären des Papstes die Päpstliche Familie. Als sich Benedikt XVI. in die Vatikanischen Gärten zurückzog, gingen die vier gottgeweihten Frauen mit ihm. Papst Franziskus verzichtet zur Gänze auf einen päpstlichen Haushalt durch sein Leben im vatikanischen Gästehaus Santa Marta.

Von den gottgeweihten Frauen, die Benedikt XVI. umgeben, ist kaum jemals etwas zu hören. Sie verrichten ihren Dienst in aller Stille. Nur 2010 gab es eine Ausnahme, als eine von ihnen, Manuela Camagni, in den Straßen Roms von einem Auto erfaßt und dabei getötet wurde. Papst Benedikt XVI. sprach damals beim Angelus über den Dienst der fleißigen Hände, die ihn umgeben und denen er dankte. Manuela wurde 56 Jahre alt. Im Alter von 26 Jahren war sie in die Gemeinschaft der Memores Domini eingetreten. Mehrere Jahre hatte sie im bischöflichen Ordinariat in Tunis gedient, ehe sie 2005 in die Päpstliche Familie entsandt wurde.

Am selben Tag, an dem Benedikt XVI. die Nachricht vom Ableben seines Bruders erreichte, mit dem er am selben Tag 1951 zum Priester geweiht worden war, enthüllte der Vatikanist Aldo Maria Valli, daß die Gemeinschaft der Memores Domini von Franziskus unter kommissarische Verwaltung gestellt wurde. Das entsprechende Dekret stammt vom Dikasterium für Laien, Familie und Leben, das von Franziskus 2016 errichtet worden war, in dem der Päpstlichen Laienrat aufgegangen ist und dem die Gemeinschaft als Laienvereinigung untersteht.

Zum Apostolischen Delegaten ernannte Franziskus den Jesuiten Pater Gianfranco Ghirlanda, der bis zu seiner Emeritierung Professor für Kirchenrecht an der römischen Jesuitenuniversität Gregoriana war. Er soll den „Revisionsprozeß“ für die Statuten der Memores Domini durchführen.

Das Dekret und die Vorladung

Die Leitung der Gemeinschaft, 2018 für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wurde vorgeladen und ihr am 26. Juni das päpstliche Dekret in Anwesenheit von Kardinal Kevin Farrell, dem Präfekten des römischen Dikasteriums, verlesen. Anwesend waren Antonella Frongillo, die Vorsitzende der Memores Domini sowie Vorstandsmitglieder und Verantwortliche einiger Häuser derselben. Anwesend war auch P. Ghirlanda, der die Linie seines Handelns skizzierte.

Der Grund der päpstlichen Intervention läßt sich, wie in solchen Fällen üblich, nur erahnen. Kardinal Farrell sagte bei der Vorladung, daß einige Punkte der Statuten zu ändern seien, aber trotz einer entsprechenden Ankündigung durch die Vorsitzende im Mai 2018 liege dem Vatikan noch kein konkreter Vorschlag vor. Aus diesem Grunde habe das Dikasterium „in Übereinkunft mit dem Papst“ die Ernennung von P. Ghirlanda als päpstlichem Delegaten entschieden, damit er den „Revisionsprozeß des Direktoriums und der Statuten leite“. Dabei ließ der Kardinal noch etwas durchblicken: Teil der Aufgaben des faktischen Kommissars sei auch die „Behebung einiger Probleme, die dem Dikasterium mitgeteilt wurden“. Beanstandet wird im Dekret die Doppelfunktion von Don Carrón als Oberer von CL, der zugleich auch geistlicher Assistent der Memores Domini ist. Es fehle an der nötigen Trennung zwischen der Leitungsfunktion und der geistlichen Führung, was das Gewissen und die Freiheit des Einzelnen berühre.

Am vergangenen 2. Juni hatte Papst Franziskus ein Schreiben an die Vorsitzende gerichtet, um, so Kardinal Farrell, seiner Aufgabe nachzukommen, „über die gute Ausübung der Charismen zu wachen“. Fast identische Worte hatte der Papst am 7. März 2015 gebraucht, als er die gesamte Führung der Gemeinschaft Comunione e Liberazione (CL) und Zehntausende ihrer Mitglieder anläßlich ihres 60. Gründungsjubiläums auf dem Petersplatz empfing. Damals war die Wortwahl ein tadelnder Hinweis auf die „Gefahr der Selbstbezogenheit“. Bereits zuvor war bekannt, daß die konservative Gemeinschaft nicht zum bevorzugten Kreis des argentinischen Papstes gehörte. „Das Gründungscharisma von CL hat Franziskus nicht gutgeheißen, sondern auf den Index gesetzt“, so damals der Vatikanist Sandro Magister.

Lediglich zum sogenannten Römischen Kreis der Gemeinschaft unterhielt er bereits als Erzbischof von Buenos Aires enge Kontakte. Aus diesem nur sechs Personen umfassenden Kreis stammt Andrea Tornielli, sein Haus- und Hofvatikanist und nunmehrige Chefredakteur mit Koordinierungs- und Richtlinienbefugnis für alle vatikanischen Medien. Dennoch überraschte die Härte, mit der Franziskus im März 2015 die Gemeinschaft ermahnte. Wörtlich warf er CL vor, das Feuer zum Ersticken und die Glut zum Erlöschen zu bringen:

„Don Giussani würde es Euch nie verzeihen, wenn Ihr die Freiheit verliert und Euch in Museumsführer oder Verehrer der Asche verwandelt.“

Offenkundig wurden die Probleme „aus Sicht des Heiligen Stuhls nicht gelöst“, so Aldo Maria Valli.

Die Identitätskrise

Dem päpstlichen Delegaten P. Ghirlanda wurden alle Vollmachten übertragen, die Leitung der Gemeinschaft zu übernehmen. Er selbst sagte in seiner Wortmeldung, daß der Heilige Geist der Kirche und „nicht nur den Mitgliedern einer Vereinigung geschenkt ist“, weshalb die Überarbeitung der Statuten „voll der Verantwortung gegenüber der Kirche“ sei. Als Bezugspunkte für die Überarbeitung nannte er Christus, die Kirche und den Gründer, aber „ebenso grundlegend“ sei als Bezugspunkt auch „die spirituelle Erfahrung“, welche die Mitglieder gelebt haben und leben.

„Das ist es, was das Charisma lebendig und fähig macht, auf die verschiedenen Situationen der Gesellschaft und der Kirche zu antworten. Und nur durch die Mitglieder lebt das Charisma in der Zeit weiter.“

Was im Detail von Papst Franziskus und dem Dikasterium für Laien, Familie und Leben auch beanstandet werden mag, Tatsache ist, daß Comunione e Liberazione (CL) sich in einer schwierigen Lage befindet, die mit dem Tod ihres Gründers, Don Luigi Giussani, ihren Ausgang nahm, der im selben Jahr wie Papst Johannes Paul II. verstorben ist, die aber unter Franziskus unübersehbar wurde. Giussanis Nachfolger, Don Julián Carrón, konnte dessen Lücke nicht wirklich ausfüllen. Mit der Wahl von Franziskus und den dadurch erfolgten Koordinatenverschiebungen geriet der Kompaß etwas durcheinander. Die Orientierungslosigkeit ließ sich am ehesten beim Meeting von Rimini ablesen, einer alljährlich von der Gemeinschaft organisierten Großveranstaltung. Verflachung und politische Korrektheit wurden beanstandet. Darin wurde ein untrügliches Signal für Identitätsprobleme gesehen.

Es ist allerdings zu bezweifeln, daß die brüske Intervention des Heiligen Stuhls dem ursprünglichen, streitbaren Charisma dienen soll, das CL vor allem in den späten 70er und in den 80er Jahren kennzeichnete und auszeichnete. Don Giussani sagte in den harten Jahren des Studentenprotestes nach 1968, die zu den Jahren der Einsamkeit von Paul VI. wurden, daß CL einmal soweit kommen müsse, den Petersplatz selbst dann allein füllen zu können und sich um den Papst zu scharen, wenn alle anderen den Stellvertreter Christi im Stich lassen sollten. Das gelingt schon seit einiger Zeit problemlos, wie zuletzt am genannten 7. März 2015 demonstriert wurde. Was von Don Giussani als Treue gegen die äußeren Feinde der Kirche gedacht war, beeindruckte Papst Franziskus nicht, wie seine scharfe Kritik an den Versammelten zeigte.

Unter Franziskus haben sich die Vorzeichen geändert: Als konservative Gemeinschaft steckt CL in einem kaum lösbaren Dilemma, einer Art Identitätsfalle, wenn sie eine Anbiederung versucht. Es sind nicht wenige, die CL nicht mehr als das wiedererkennen, was Don Giussani wollte. Die geistige Spannung, die einst zahlreiche Initiativen hervorbrachte, scheint erlahmt. Diese Tatsache greift die derzeitige Kirchenführung auf, aber eben kaum in der Absicht, die berechtigte Kritik zu einer Erneuerung im Geist von Don Giussani zu nützen, wie ehemals führende CL-Vertreter befürchten. „Kann der Fuchs den Hühnern Nachhilfeunterricht in Selbstverteidigung geben?“, wie es in Rom heißt.

P. Ghirlanda stellte gegenüber den Oberen der Gemeinschaft Memores Domini eines klar: Es brauche für den anstehenden Prozeß “Fügsamkeit“, was „viel Demut“ verlange. Es gehe darum, „zu unterscheiden, was vom guten Geist und was vom bösen Geist“ komme, der sich „oft als Engel des Lichts tarne“.

In Rom wird darüber spekuliert, daß mit der Entsendung eines Kommissars auch die vier Memores Domini betroffen sein könnten, die Benedikt XVI. den Haushalt führen und mit ihm im Kloster Mater Ecclesiae leben. Es besteht die Sorge, daß sie unter dem Vorwand der kommissarischen Verwaltung abgezogen und durch andere ersetzt werden könnten, deren Gehorsam anders gelagert ist.

Quelle: katholisches.info G. Nardi Bild: MiL

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