Kommentar zum heutigen Evangelium
Hl. Gregor der Große (um 540-604), Papst und Kirchenlehrer
Homilie 25 zum Evangelium; PL 76, 1188
„Warum weinst du?“
Weinend beugt sich Maria hinab und schaut in die Grabkammer hinein, obwohl sie doch bereits gesehen hatte, dass sie leer war und das leere Grab verkündet hatte. Warum also beugt sie sich abermals hinein, warum möchte sie erneut hineinschauen? Weil sich die Liebe nicht mit einem einzigen Blick begnügt; die Liebe ist immer leidenschaftliche Suche. Sie hatte ihn bereits gesucht, doch vergebens; sie aber lässt sich nicht beirren und sie wird ihn finden […] Im Hohenlied der Liebe spricht die Kirche über diesen Bräutigam: „Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Aufstehen will ich, die Stadt durchstreifen, die Gassen und Plätze, ihn suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht“ (Hld 3,1-2). Zweimal erwähnt sie ihre Enttäuschung: „Ich suchte ihn und fand ihn nicht“! Doch der Erfolg wird sie für alle ihre Mühen entschädigen: „Mich fanden die Wächter bei ihrer Runde durch die Stadt. Habt ihr ihn gesehen, den meine Seele liebt? Kaum war ich an ihnen vorüber, fand ich ihn, den meine Seele liebt“ (Vers 3-4).
Und wir? Wann suchen wir den Geliebten? Während der kurzen Ruhepausen in diesem Leben, wenn wir uns nach unserem Erlöser sehnen. Wir suchen ihn bei Nacht, denn selbst wenn unser Geist bereits bei ihm wacht, so sehen doch unsere Augen nur seinen Schatten. Da wir aber den Geliebten nicht erblicken, lasst uns aufstehen und die Stadt durchsuchen, also die Gemeinschaft der Heiligen. Suchen wir ihn von ganzem Herzen; suchen wir ihn in allen Gassen und auf allen Plätzen, das heißt auf den schmalen Pfaden und auf den breiten Wegen; schärfen wir unseren Blick und suchen nach den Spuren des Geliebten […] dies ersehnend meinte David: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und erscheinen vor Gottes Angesicht?“ (Ps 42,3).
Quelle: CFM.SCJ Archiv Yaoundé