Kommentar zum heutigen Evangelium
Sel. John Henry Newman (1801-1890), Theologe und Kardinal, Gründer der Oratorianergemeinschaft in England
PPS vol. 8, Nr. 2
„Es ist der Herr!“
Wir tun uns schwer, die große und erhabene Wahrheit zu begreifen, dass Christus immer noch in gewisser Weise mit uns unterwegs ist, und dass er mit seiner Hand, mit seinem Blick oder seiner Stimme Zeichen gibt, ihm zu folgen. Wir begreifen nicht, dass dieser Ruf Christi etwas ist, das sich jeden Tag ereignet, heute genauso wie damals. Wir sind der Ansicht, dass dies zwar auf die Zeit der Apostel zutrifft, doch nicht mehr für uns heutzutage, und so bemühen wir uns nicht darum, hellhörig zu sein für diesen Ruf. Wir haben keinen Blick mehr dafür, den Meister zu wahrzunehmen – und unterscheiden uns dadurch diametral von dem Jünger, den Jesus liebte, der Christus auch dann erkannte, als die anderen ihn nicht wahrnahmen. Doch er war wirklich anwesend, und stand am Ufer, damals, nach seiner Auferstehung, als er befahl, die Netze auszuwerfen; damals sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: „Es ist der Herr!“
Was ich damit sagen will ist, dass gläubige Menschen ab und zu Wahrheiten begegnen, die sie vorher noch nicht wahrgenommen hatten, und die ihrer Aufmerksamkeit bislang entgangen waren. Urplötzlich aber stehen diese vor ihnen wie ein unmissverständlicher Anspruch. Dabei handelt es sich um Wahrheiten, die uns in die Pflicht nehmen, die zu Geboten werden, die Gehorsam verlangen. Auf diese und andere Weisen ruft uns Christus heute. In diesem Vorgang ist nichts Geheimnisvolles oder Außergewöhnliches. Er [Christus] wirkt mittels unserer natürlichen Fähigkeiten und nach Maßgabe unserer eigenen Lebensumstände.
Quelle: CFM.SCJ Archiv Yaoundé