Eine göttliche Person in zwei Naturen

Predigt von Hochwürden Prälat Prof. Dr. Georg May

Im Namen des Vaters und des Soh­nes und des Hei­li­gen Geis­tes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Rin­gen um die Erkennt­nis des Wesens Christi war mit der Ent­schei­dung des Kon­zils von Nicäa nicht abge­schlos­sen. Damit waren zwar die Aria­ner zurecht gewie­sen, die die Gott­heit Christi leug­ne­ten, aber es war noch ein Rest des Irr­tums geblie­ben, der sich ver­häng­nis­voll aus­wei­ten sollte. Denn die Aria­ner hat­ten nicht nur die Gott­heit Christi geleug­net, son­dern auch die Seele Christi. Sie sag­ten: Der LOGOS hat einen unbe­seel­ten Leib ange­nom­men. Die Mensch­heit Christi wurde also ver­stüm­melt, denn ohne Seele kann man nicht von einem gan­zen Men­schen spre­chen. Diese Lehre wurde von dem Bischof Apol­li­na­ris von Lao­di­cea auf­ge­nom­men und fand weite Ver­brei­tung. Es mußte von neuem gekämpft wer­den, um diese Irr­lehre zu über­win­den, was durch her­vor­ra­gende Theo­lo­gen wie Gre­gor von Nyssa geschah, auch natür­lich unter dem Schutz des Kai­sers, der die Apol­li­na­ris­ten, also die Anhän­ger die­ser Lehre, ver­wies und ver­bannte. Es war aber immer noch eine andere Frage zu erklä­ren, näm­lich: wie ver­hal­ten sich gött­li­che und mensch­li­che Natur in Chris­tus zuein­an­der? Da gab es zwei Rich­tun­gen. Die Ägyp­ter in Alex­an­drien spra­chen von einer Ver­mi­schung der bei­den Natu­ren. Die Antio­che­ner, also in Syrien, rede­ten von einer Tren­nung der Natu­ren. Es waren vor allem die bei­den Theo­lo­gen Diodor von Tar­sus und Theo­dor von Mop­su­es­tia, die diese Mei­nung ver­tra­ten. Sie lehr­ten: Der LOGOS, also die zweite Per­son in Gott, wohnt in dem Men­schen Jesus wie in einem Tem­pel. Das heißt, eine eigent­li­che Men­schwer­dung gibt es nicht, denn wie in einem Tem­pel wohnt ja Gott auch in den Begna­de­ten, in denen, wel­che die hei­lig­ma­chende Gnade besit­zen. Die bei­den nah­men also eine Ein­heit nur im mora­li­schen Sinne an, das heißt, der Mensch Jesus hat sich an die Gebote Got­tes gehal­ten, aber er ist nicht Gott. Das heißt wei­ter, Maria ist nicht Got­tes­ge­bä­re­rin, sie ist Chris­tus­ge­bä­re­rin, sie ist Men­schen­ge­bä­re­rin. Sie ahnen, wel­che Ver­wir­rung infolge die­ser Lehre ent­stand. Die bei­den, Diodor und Theo­dor, wären even­tu­ell zu über­win­den gewe­sen, aber die Lehre wurde über­nom­men von dem Patri­ar­chen von Kon­stan­ti­no­pel, von Nest­orius. Und dadurch gewann sie erheb­li­che Kraft und Ver­brei­tung. Was lehrte Nest­orius? Nest­orius sagte: „Der Sohn der Jung­frau Maria ist ein ande­rer als der Sohn Got­tes. Ent­spre­chend den zwei Natu­ren in Chris­tus sind auch zwei Per­so­nen anzu­neh­men, eine gött­li­che und eine mensch­li­che. Die bei­den Per­so­nen sind nur durch die Ein­heit des Wil­lens ver­bun­den. Der Mensch Chris­tus ist nicht Gott, son­dern Got­tes­trä­ger. Die Inkar­na­tion ist keine wahre Men­schwer­dung, son­dern nur die Ein­woh­nung des gött­li­chen LOGOS im Men­schen Jesus Chris­tus, ähn­lich wie Gott in den See­len der Gerech­ten wohnt. Folg­lich kann Maria nicht im eigent­li­chen Sinne als Got­tes­ge­bä­re­rin bezeich­net wer­den, sie ist Men­schen­ge­bä­re­rin oder Chris­tus­ge­bä­re­rin.“ Das heißt, Nest­orius zer­riß die Ein­heit in Chris­tus. Er teilte Chris­tus auf in zwei Per­so­nen, in eine mensch­li­che und eine gött­li­che. Er ver­fiel bei die­sem Ver­such, Christi Wesen­heit zu erklä­ren, einem Ratio­na­lis­mus, also einem Denk­sys­tem, das meint, mit dem Ver­stand könne man die Wirk­lich­keit Christi auf­lö­sen. Es kam, vom Kai­ser ein­be­ru­fen, zu einer All­ge­mein­den Syn­ode in Ephe­sus, im Jahre 431. Bei die­ser Syn­ode setzte die alex­an­d­ri­ni­sche Rich­tung, also Cyrill von Alex­an­drien, die rich­tige Lehre durch, näm­lich die Lehre einer wah­ren Eini­gung der zwei Natu­ren in Chris­tus und vor allem von der Theo­to­kos, von der Got­tes­ge­bä­re­rin. Das Volk von Ephe­sus ver­an­stal­tete einen Fackel­zug, als Maria wie­der in ihre Ehre ein­ge­setzt wurde. Aber damit war die Sache kei­nes­wegs erle­digt, denn die Geg­ner hiel­ten auch eine Syn­ode ab, eine Gegen­syn­ode, und bekräf­tig­ten auf ihr ihre Irr­lehre. Das recht­gläu­bige Kon­zil von Ephe­sus lehrte im ein­zel­nen fol­gen­des: Die gött­li­che und die mensch­li­che Natur in Chris­tus sind zu einer Ein­heit in der Per­son, in einer Per­son, mit­ein­an­der ver­bun­den. Chris­tus ist eine ein­zige Per­son, er ist Gott und Mensch zugleich, ein und der­selbe ist Gott und Mensch. Der gött­li­che LOGOS, also die zweite Per­son in Gott, ist durch eine innere Ver­ei­ni­gung mit der Men­schen­na­tur ver­bun­den. Chris­tus ist nicht bloß Got­tes­trä­ger, er ist Gott. Es ist der gött­li­che LOGOS, der im Flei­sche litt, gekreu­zigt wurde, starb und auf­er­stand. Wegen der phy­si­schen Eini­gung von zwei Natu­ren in einer Per­so­nen gebührt auch der Mensch­heit Christi gött­li­che Ver­eh­rung, wegen die­ser Ein­heit. Die hei­lige Jung­frau ist Got­tes­ge­bä­re­rin, da sie den fleisch­ge­wor­de­nen LOGOS sei­ner Men­schen­na­tur nach gebo­ren hat.

Der Streit hielt an, die Spal­tung dau­erte fort. Im Römi­schen Rei­che hat der Kai­ser für die Durch­set­zung der rech­ten Lehre gesorgt. Aber außer­halb des Römi­schen Rei­ches hielt sich die Irr­lehre. In Per­sien, im heu­ti­gen Iran, dau­erte der Nest­oria­nis­mus fort, und zwar kraft­voll. Die Nest­oria­ner waren kei­nes­wegs schlechte Kerle, sie waren eif­rige und gläu­bige Chris­ten, frei­lich nach ihrem Glau­bens­be­kennt­nis, und sie waren außer­or­dent­lich mis­si­ons­eif­rig. Die nest­oria­ni­sche Chris­ten dehn­ten das Chris­ten­tum aus nach Indien, in die Mon­go­lei, nach China. Es gab 200 nest­oria­ni­schen  Bis­tü­mer und ver­mut­lich Mil­lio­nen sol­cher nest­oria­ni­sche Chris­ten. Sie wur­den frei­lich durch die Mon­go­len­stürme dezi­miert, ver­nich­tet, aus­ge­löscht bis auf kleine Reste. Noch heute, noch heute gibt es in Kur­dis­tan, also an der Grenze zwi­schen der Tür­kei und Iran, nest­oria­ni­schen Chris­ten. Auch im Irak, auch in Syrien hat sich diese Lehre in klei­nen Grup­pen behaup­tet.

Nun kann man natür­lich fra­gen: Lohn­ten sich diese Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Kämpfe? Waren sie not­wen­dig? Die Ant­wort lau­tet: Sie haben sich gelohnt und sie waren not­wen­dig. Warum? Die Kir­che ist die Wirk­stätte des Hei­li­gen Geis­tes. Der Hei­lige Geist ist der Geist der Wahr­heit. In der Kir­che muß darum die Wahr­heit herr­schen. Der Bei­stand des Hei­li­gen Geis­tes garan­tiert ihr, dass sich die Wahr­heit, wenn auch unter vie­len Kämp­fen, durch­setzt. Das Wir­ken des Hei­li­gen Geis­tes macht mensch­li­che Bemü­hun­gen nicht über­flüs­sig, setzt sie viel­mehr vor­aus, aber an dem Rin­gen der Men­schen ist eben die Kraft des Hei­li­gen Geis­tes betei­ligt. Er lenkt die Her­zen und den Ver­stand zur Klä­rung der Wahr­heit. Und so muß man sagen: Ephe­sus ist der Erfolg des Hei­li­gen Geis­tes. Was dort gelehrt wurde, ist die Wahr­heit, die der Geist in sei­ner Kir­che durch­setzt. Nun könnte einer kom­men und sagen, ja das ist halt ein Ver­such mit phi­lo­so­phi­schen Mit­teln, die Offen­ba­rung zu durch­drin­gen, mehr nicht. Nein, meine lie­ben Freunde, das ist nicht bloß ein Ver­such, das ist eine gelun­gene Defi­ni­tion des­sen, was das bib­li­sche Zeug­nis her­gibt. Die Bibel spricht nicht in phi­lo­so­phi­schen Begrif­fen, sie erzählt die Geschichte der Offen­ba­rung. Aber wenn wir diese Geschichte umset­zen in Begriffe, dann kommt das her­aus, was in Ephe­sus defi­niert wurde. Das Dogma von Ephe­sus ist die gül­tige Aus­deu­tung und die ange­mes­sene sprach­li­che For­mu­lie­rung des bib­li­schen Zeug­nis­ses. Es hat darum für alle Gläu­bi­gen bin­dende Kraft.

Bei die­sen alt­christ­li­chen Irr­leh­ren han­delt es sich um blei­bende Ver­su­chun­gen. Sie kom­men immer wie­der vor, wie ich Ihnen gleich zei­gen werde, bis in unsere Gegen­wart. Wir Chris­ten müs­sen wis­sen, wer Jesus Chris­tus ist. Wir müs­sen seine Wirk­lich­keit und seine Wesens­art erfor­schen, denn davon hängt ja ab, wie wir uns zu ihm stel­len, wie wir mit ihm umge­hen, wie wir uns ihm gegen­über ver­hal­ten. Und der posi­tive Inhalt des Dog­mas von Ephe­sus lau­tet: In der Men­schwer­dung wurde die Daseins­kraft der zwei­ten Per­son in Gott die Daseins­kraft der mensch­li­chen Natur. Die mensch­li­che Natur in Chris­tus hat kei­nen Selbst­stand. Sie hat kein ICH, son­dern das ICH der mensch­li­chen Natur Christi ist der LOGOS, ist die gött­li­che Per­son. Der LOGOS hat sich die mensch­li­che Natur mit einer sol­chen Mäch­tig­keit ange­eig­net, dass sein eige­nes Selbst das ICH der mensch­li­chen Natur wurde, und er ist in der mensch­li­chen und in der gött­li­chen Natur tätig. Die Defi­ni­tion von Ephe­sus, meine lie­ben Freunde, sichert die wahre und wirk­li­che Men­schwer­dung der zwei­ten Per­son in Gott. Die Men­schwer­dung aber ist die Bür­gin unse­res Hei­les. Da ist der Abgrund zwi­schen Gott und dem Men­schen über­brückt. Da ist die ganze Schöp­fung mit Licht und Leben erfüllt, wie wir wie­der zu Weih­nach­ten sehen wer­den. Indem der Mensch den geschicht­li­chen Chris­tus ergreift, kann er in das inner­gött­li­che Leben ein­tre­ten, weil die­ser Mensch Got­tes Sohn ist. Wenn die Ein­heit zwi­schen Gott und Mensch, wie es der Nest­oria­nis­mus behaup­tet, nur eine äußere und äußer­li­che wäre, dann wür­den ja Gott und Mensch neben­ein­an­der her­ge­hen in Chris­tus, da käme es nicht zu einer Über­brü­ckung des Abgrun­des. Da würde auch die Kluft nicht geschlos­sen. Der Mensch bliebe inner­halb der Todes­zone. Nein, die Hef­tig­keit, mit der die­ser Kampf geführt wurde, erklärt sich nur aus der Sorge um die Erlö­sung aus Sünde und Tod.

Die Kir­chen­vä­ter haben noch auf zwei wei­tere Kon­se­quen­zen hin­ge­wie­sen, die sich aus dem nest­oria­ni­schen Irr­tum erge­ben, näm­lich ein­mal: Wenn das Lei­den Christi das Werk eines blo­ßen Men­schen ist, wird es sei­nes unend­li­chen Wer­tes beraubt. Denn die­ses Lei­den hat doch nur des­we­gen unend­li­chen Wert, weil es der Got­tes­sohn ist, der lei­det. Die Got­tes­sohn­schaft Christi, auch im Lei­den, ist die Vor­aus­set­zung unse­rer Erlö­sung. Eine andere Kon­se­quenz in der Eucha­ri­s­tie­lehre: Das Fleisch Christi in der Eucha­ris­tie ist nicht lebens­spen­dend, wenn es nicht das eigene Fleisch des Got­tes­soh­nes ist. Nur weil wir in der Eucha­ris­tie den LOGOS, den Zwei­ten in der Drei­ei­nig­keit emp­fan­gen, nur des­we­gen ist die­ses hei­lige Fleisch, ist die­ses hei­lige Gesche­hen lebens­spen­dend.

Die Pro­tes­tan­ten haben, als sie im sech­zehn­ten Jahr­hun­dert ent­stan­den, zunächst an dem Dogma von Ephe­sus fest­ge­hal­ten. Luther hat das Dogma von Ephe­sus aner­kannt. Aber seine Anhän­ger sind ihm nicht gefolgt. Fast der gesamte deut­sche Pro­tes­tan­tis­mus hat die Lehre des Kon­zils von Ephe­sus auf­ge­ge­ben. Das Dogma von der hyposta­ti­schen Union, das heißt, von der Ver­bin­dung der gött­li­chen und der mensch­li­chen Natur in der Ein­heit der gött­li­chen Per­son, ver­fällt im Pro­tes­tan­tis­mus der Ableh­nung. Ich frage mich dann aber: Ja, wozu machen wir denn da immer noch Öku­me­nis­mus? Wir kön­nen die Pro­tes­tan­ten nicht hin­dern, ihren Ansich­ten zu fol­gen. Aber wir kön­nen es ver­mei­den, uns ihnen anzu­schlie­ßen. Wir wol­len fest­hal­ten am Glau­ben des Kon­zils von Ephe­sus. Wir wol­len Chris­tus in zwei Natu­ren, ver­eint in einer Per­son, beken­nen, denn wir wis­sen, dass davon unser Heil und unsere Erlö­sung abhängt.

Amen

Quelle: CFM.SCJ Archiv Yaoundé

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert