14.10.2018 – 28. Sonntag im Jahreskreis

Hl. Johannes Chrysostomus (349-407) Bischof von Konstantinopel, Kirchenlehrer

„Und du wirst einen Schatz im Himmel haben“

Als Christus dem jungen Mann antwortete: „Wenn du in das Leben eingehen willst, so halte die Gebote“ (Mt 19,17), fragte er: „Welche?“ Durchaus nicht, um ihn zu versuchen, sondern in der Annahme es gäbe außer den Vorschriften des Gesetzes noch andere, die ihm die Pforte zum Leben erschließen könnten: ein klarer Beweis für die Aufrichtigkeit seines Verlangens. Als ihn darauf Jesus auf die Vorschriften des Gesetzes verwies, erklärte er: „Dies alles hab’ ich von meiner Jugend an beobachtet“. Aber auch das genügte ihm noch nicht, er fragte neuerdings: „Was fehlt mir noch?“ (vgl. Mt 19,20). Auch das ist doch wahrlich nichts Geringes, dass er dachte, es fehle ihm noch etwas, die angeführte Gesetzestreue reiche noch nicht aus, um zu erreichen, wonach er verlangte. Was erwidert nun Christus? Da er ihm etwas Großes auferlegen wollte, so stellte er ihm auch einen großen Kampfpreis in Aussicht und spricht: „Wenn du vollkommen sein willst, so geh hin, verkaufe, was du hast und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komme, folge mir nach!“ Siehst du, was für Preise, was für Siegeskränze der Herr bei diesem Wettkampf in Aussicht stellt? […] Um ihn aufzumuntern, redet Jesus so und deshalb zeigt er ihm auch den großen Lohn, stellt alles seiner Entscheidung anheim und verschleiert auf jede Weise, was an seiner Aufforderung hätte drückend erscheinen können. So weist er ihn denn, ehe er von Kampf und Anstrengung spricht, auf den Siegespreis hin: „Willst du vollkommen sein“ […] „Du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach.“ Wer Christus nachfolgt, empfängt herrlichen Lohn: „Und du wirst einen Schatz im Himmel haben.“ Da von Besitz die Rede war und Jesus den Jüngling auffordere, alles hinzugeben, so zeigt er ihm, dass er sein Vermögen nicht einbüßen, sondern es noch vermehren würde […].

Der heilige Apostel Paulus mahnt  uns: „Darum legt ab die Lüge und redet Wahrheit ein jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind Glieder untereinander. Zürnt ihr, so sündigt nicht! Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn! Gebt nicht Raum dem Teufel!“ (Eph 4,25ff.)

Keiner möge den Nächsten hintergehen

Was sagt er genau? „Darum legt ab die Lüge!“ Welche Lüge? Meint er damit etwa die Götzen? Durchaus nicht. Lüge sind wohl auch diese; aber jetzt haben die Epheser keine Gemeinschaft mit ihnen. Er meint vielmehr das hinterlistige und heimtückische Verhalten der Menschen im Verkehr untereinander.

„Redet Wahrheit ein jeder mit seinem Nächsten!“ Sodann fügt er einen noch wirksameren Beweggrund bei: „Denn wir sind Glieder untereinander“. Keiner möge also den Nächsten hintergehen! Dasselbe spricht der Psalmist allerorten aus: „Trügerische Lippen sind in seinem Herzen, und in seinem Innern redet er Böses“ (Ps 11,3; 27,3). Es gibt nichts, es gibt ganz und gar nichts, was in solchem Maße Feindschaft erzeugt als Lüge und Betrug.

Keine Feindschaft nach dem Sonnenuntergang

„Zürnt ihr, so sündigt nicht!“ Sieh, wie verständig! Auf der einen Seite gibt er an, wie wir die Sünde vermeiden sollen, auf der anderen wiederum lässt er diejenigen nicht im Stiche, welche seiner Mahnung nicht achten; er kann eben seine väterliche Liebe nicht unterdrücken. Wie der Arzt dem Patienten zwar das zu beobachtende Verhalten genau vorschreibt, wenn sich derselbe aber nicht daran hält, ihn dennoch nicht aufgibt, sondern zum Mittel der Überredung greift und ihn weiter behandelt, so macht es auch Paulus.

Wenn ein Arzt jenes tut, nämlich den unfolgsamen Kranken aufgibt, so geizt er lediglich nach Ruhm und fühlt sich beleidigt, dass seine Vorschrift verachtet wurde; wenn er aber in allem die Gesundheit des Kranken erstrebt, so hat er nur das eine Ziel im Auge, den Patienten wieder herzustellen. Dies tut auch Paulus. Er sagt: Lügt nicht! Sollte aber einmal durch Lüge Zorn entstanden sein, so weiß er auch dafür ein Heilmittel. Wie nämlich sagt er? „Zürnt ihr, so sündigt nicht!“

Gut ist es, nicht zu zürnen; wenn aber doch jemand in dieser Leidenschaft fallen sollte, so dauere es wenigstens nicht lange. „Die Sonne“, sagt er, „gehe nicht unter über eurem Zorn!“ Du willst deinen Zorn befriedigen? Dann genügt dir eine Stunde und zwei und drei; die Sonne lasse euch bei ihrem Scheiden nicht als Feinde zurück! Durch Gottes Güte ist sie aufgegangen, beim Untergange scheine sie nicht auf Unwürdige herab! Wenn der Herr aus großer Güte sie gesandt und dir die  Sünden vergeben hat, du aber deinem Nächsten nicht verzeihen willst, erwäge doch, welch’ großes Übel das ist!

Gib dem Teufel nicht Raum – versöhne dich

Dazu gesellt sich aber noch ein anderes Übel. Der heilige Paulus fürchtet, die Einsamkeit der Nacht möchte, wenn sie den Beleidigten noch vom Zorn erhitzt findet, die Glut zur hellen Flamme entfachen. Untertags nämlich, so lange viele Dinge zerstreuen, ist es dir möglich, deinen Zorn zu stillen; bricht aber der Abend herein, so versöhne dich und lösche den noch frischen Brand!

Denn wenn die Nacht darüber kommt, so wird der folgende Tag nicht zureichen, das auch nächtens angewachsene Übel zu tilgen. Magst du auch das Feuer zum größten Teile ersticken, ganz wirst du es nicht imstande sein; die zurückbleibende Glut aber ermöglicht es, in der folgenden Nacht den Brand noch heftiger zu schüren.

Und gleich wie die Sonne, wenn sie nicht imstande ist, das während der Nacht angesammelte dichte Gewölk durch die Hitze des Tages gänzlich aufzuhellen und zu zerstreuen, Veranlassung zu stürmischem Unwetter gibt, da die kommende Nacht dich der Überbleibsel bemächtigt und sie durch neue Dünste wieder wachsen lässt: so geht es auch mit dem Zorn. – „Gebt nicht Raum dem Teufel!“

Sich gegenseitig bekriegen, heißt also dem Teufel Raum geben. Anstatt nämlich alle in geschlossenen Reihen gegen ihn zu stehen, wie wir sollten, geben wir die Feindschaft gegen ihn auf und lassen uns gegeneinander hetzen. Durch nichts gewinnt der Teufel so sehr Raum, wie durch die Feindschaften.

Fest zusammengefügt im Guten sein

Daraus entstehen ungezählte Übel. Gleichwie ein Bau, solange die Steine festgefügt und ohne Lücke sind, unverwüstlich dasteht, sobald aber eine Öffnung nur nadelgroß sich hindurchzieht oder ein Riss nur haarbreit sich bildet, dies dem Ganzen Zerstörung und Unter­gang droht: so verhält es sich auch mit dem Teufel. Solange wir fest zusammengefügt und innig miteinander verbunden sind, findet er durchaus keinen Zutritt; hat er aber unsere Verbindung nur ein klein wenig gelockert, so dringt er herein gleich einem reißenden Gießbach.

Es bedarf für ihn überall nur des Anfanges; darin besteht die größte Schwierigkeit. Hat er diese einmal überwunden, so bricht er sich immer weiter Bahn. Dann macht er das Ohr für Verleumdungen zugänglich, und denen, die Lügenhaftes sagen, wird lieber geglaubt; denn die Feindschaft sitzt zu Gericht, nicht die Wahrheit spricht das Urteil.

Und wie der Freundschaft selbst das wahrhaft Böse als Lüge erscheint, so der Feindschaft selbst die Lüge als wahr. Man denkt und richtet ganz anders, weil man nicht unparteiisch hört, sondern stark befangen von Vorurteil und Voreingenommenheit. Gleichwie nämlich auf der Waage ein zugelegte Bleigewicht den Ausschlag gibt, so auch hier das Gewicht der Feindschaft, da es noch schwerer ist als Blei.

Deshalb, ich bitte euch, lasst uns alles aufbieten, um vor Sonnenuntergang die Feindschaften zu er­sticken! Denn wenn du sie nicht am ersten und zweiten Tag bewältigst, dehnst du sie oft ein gan­zes Jahr aus, und die Feindschaft vergrößert sich von selbst ohne jeg­liches Zutun. Indem sie die Worte anders auslegt, als sie gemeint sind, und jeder Miene, kurz allem eine falsche Deutung gibt, erzeugt sie Gereiztheit und Erbitterung und versetzt in einen Zu­stand, der schlimmer ist als Raserei, da sie selbst den Namen des Feindes nicht auszusprechen oder nur zu hören vermag, ohne in laute Schmähungen auszubrechen.

In Demut die eigenen Sünden bedenken

Wie können wir nun den Unmut besänftigen? Wie die auflodernde Flamme ersticken? Wenn wir unsere eigenen Sünden bedenken und die Größe unserer Schuld vor Gott; wenn wir bedenken, dass die Rache, die wir am Feinde üben wollen, auf uns selbst zurückfällt; wenn wir bedenken, dass wir damit nur den Teufel erfreuen, dass wir die Macht unseres Feindes, unseres wirklichen Feindes, durch das, was wir einem Glied von uns Unrecht tun, vermehren.

Willst du rachsüchtig und feindselig sein? So sei feindselig, aber ge­gen den Teufel, nicht ge­gen ein Glied von dir! Gott hat uns nicht des­halb mit dem un­ges­tümen Mut be­waff­net, damit wir das Schwert in unseren eigenen Leib sto­ßen, son­dern damit wir es ganz in die Brust des Teufels tauchen. Da­hin­ein bohre es bis an den Griff, ja den Griff noch dazu, wenn du willst, und zieh’ es nimmer heraus, son­dern greife lieber noch zu einem zweiten! Dieses aber wird geschehen, wenn wir uns selber schonen, wenn wir friedfertig gegeneinander gesinnt bleiben.

Erbauliches reden

„Kein schlechtes Wort gehe aus eurem Munde hervor…“ (Eph 4,29) Was ist ein schlechtes Wort? Jenes, das er sonst auch ein müssiges nennt: üble Nachrede, Zoten, Possenreißerei, albernes Geschwätz. Siehst du, wie er die Wurzeln des Zornes abschneidet, die Lüge, den Diebstahl, das unpassende Reden?

Trefflich ist die Belehrung, die er bezüglich der Reden erteilt. Denn wir sind nicht nur für unsere Handlungen, sondern auch für unsere Reden verantwortlich.

„…sondern [redet] nur, was jeweils gut ist“ (Eph 4,29), sagt er, „zu entsprechender Erbauung, damit es Segen bringe den Hörenden“. Das heißt, was den Nächsten erbaut, das allein rede, unnützerweise aber nichts.

Gott hat dir nämlich Mund und Zunge dazu gegeben, damit du Ihm dankst, damit du den Nächsten erbaust.

Gleichwie nämlich das Salböl seinen lieblichen Duft denen verleiht, welche damit in Berührung kommen, so auch eine gute Rede. Deshalb heißt es auch in der Schrift: „Eine ausgegossene Salbe ist dein Name“ (Hl 1,2). Der Apostel wollte es bewirken, dass sie ständig jenen Wohlgeruch ausatmen.

Siehst du, wie er seine stete Mahnung auch hier wiederholt, indem er einen jeden beauftragt, nach seinen Kräften den Nächsten zu erbauen?

Heilmittel: Gebet und Aussöhnung

Gewöhnen wir unseren Mund an ehrbare Reden! Daraus erwächst reiner Gewinn, aus dem Schmähen dagegen großer Schaden. Kein Geldaufwand ist dabei nötig. Verschließen wir ihn mit Tür und Riegel! Verzehren wir uns, wenn je ein beleidigendes Wort unseren Zähnen entschlüpfen sollte! Bitten wir Gott, bitten wir den Beschimpften um Verzeihung, halten wir das nicht unter unserer Würde! Wir haben uns selbst getroffen, nicht den anderen; wir haben uns selbst verletzt, nicht den anderen. Wenden wir das Heilmittel an: das Gebet und die Aussöhnung mit dem Beleidigten!

Wenn wir schon in den Reden uns so großer Vorsicht befleißigen, so wollen wir uns in den Handlungen feste Schranken setzen! Und haben wir Freunde, sie seien wer immer, wenn sie jemanden schmä­hen oder beschim­pfen, so fordere von ihnen, dass sie auch Genug­tuung leisten! Ler­nen wir überhaupt, dass solches Sün­de ist; sind wir zu dieser Erkenntnis ge­langt, so wer­den wir es bald unter­lassen.

Der Gott des Frie­dens aber bewahre euren Sinn und eure Zunge und befestige sie mit seiner Furcht wie mit einer sichern Schutzwehr, in Christus Jesus, mit welchem dem Vater gleichwie dem Heiligen Geiste Herrlichkeit, Macht und Ehre sei, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit! Amen.

Quelle: Kommentar zum Brief des hl. Paulus an die Epheser (In epistulam ad Ephesios commentarius), XIV. Homilie, Bibliothek der Kirchenväter & CFM.SCJ Archiv Yaoundé, Bild: Screens.

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