Reskript über die Umsetzung von Traditionis Custodes
50 Tag nach dem Tod von Benedikt XVI.
Rückblick von Giuseppe Nardi auf einen Tag im päpstlichen Kampf gegen den überlieferten Ritus
50 Tage nach dem Tod von Benedikt XVI. legte der Heilige Stuhl bei der Zertrümmerung des Motu proprio Summorum Pontificum noch nach. Das Tagesbulletin des vatikanischen Presseamtes vom 20. Februar 2022 berichtete über eine Audienz, die Papst Franziskus dem Präfekten des Dikasteriums für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Kardinal Arthur Roche, gewährt hatte. Inzwischen ist bekannt, worum es bei der Audienz ging.
Im heutigen Tagesbulletin des Presseamtes wurde der Text eines Reskripts über die Umsetzung des Motu proprio Traditionis Custodes veröffentlicht, das in einer Audienz des eben erwähnten Präfekten des Dikasteriums für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung genehmigt wurde (zugleich wurde das Reskript in der aktuellen Ausgabe des Osservatore Romano abgedruckt). Es bestätigt die seit Januar kursierenden Gerüchte über restriktivere Maßnahmen gegenüber der überlieferten Liturgie teilweise. Die Gerüchte waren unmittelbar nach dem Ableben von Benedikt XVI. aufgetreten und wiesen darauf hin, daß entsprechende Vorarbeiten bereits gemacht wurden und in der Schublade bereitlagen.
In diesem Reskript wird der Teil, der die ehemaligen sogenannten Ecclesia-Dei-Gemeinschaften betrifft, nicht erwähnt, sodaß man davon ausgeht, daß für sie noch ein anderes Dokument kommen könnte, eine mögliche apostolische Konstitution, von der in den vorerwähnten Gerüchten die Rede war.
Der Heilige Stuhl hat sich nicht herabgelassen, offizielle Übersetzungen zur Verfügung zu stellen, sodaß wir eine eigene Übersetzung liefern:
RESCRIPTUM EX AUDIENTIA SS.MI, 21.02.2023
Der Heilige Vater hat bei der Audienz, die er dem unterzeichneten Kardinalpräfekten des Dikasteriums für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung am 20. Februar gewährt hat, folgendes zur Umsetzung seines Motu proprio Traditionis custodes vom 16. Juli 2021 bestätigt.
Diese Dispensen sind in besonderer Weise dem Apostolischen Stuhl vorbehalten (vgl. C.I.C. can. 87 §1):
- die Nutzung einer Pfarrkirche oder die Errichtung einer eigenen Pfarrei für die Feier der Eucharistie unter Verwendung des Missale Romanum von 1962 (vgl. Traditionis custodes Art. 3 §2);
- die Erteilung der Erlaubnis an Priester, die nach der Veröffentlichung des Motu proprio Traditionis custodes geweiht wurden, unter Verwendung des Missale Romanum von 1962 zu zelebrieren (vgl. Traditionis custodes Art. 4).
Wie in Art. 7 des Motu proprio Traditionis custodes festgelegt, übt das Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung in den oben genannten Fällen die Autorität des Heiligen Stuhls aus und überwacht die Einhaltung der Bestimmungen.
Sollte ein Diözesanbischof in den beiden oben genannten Fällen Dispensen erteilt haben, ist er verpflichtet, das Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung zu informieren, das die einzelnen Fälle prüft.
Darüber hinaus bestätigt der Heilige Vater – nachdem er bereits in der Audienz vom 18. November 2021 seine Zustimmung zum Ausdruck gebracht hat –, was in den Responsa ad dubia mit den beigefügten Erläuterungen vom 4. Dezember 2021 festgelegt wurde.
Der Heilige Vater hat außerdem angeordnet, daß dieses Reskript im Osservatore Romano und später im offiziellen Kommentar zu den Acta Apostolicae Sedis veröffentlicht wird.
Aus dem Vatikan, 20. Februar 2023
Arthur Card. Roche
Präfekt
Nachträglich wurde im Abstand von mehr als 14 Monaten von Papst Franziskus ausdrücklich bekräftigt, was das genannte Dikasterium Ende 2021 in seinen Responsa ad dubia (Antworten auf Zweifel) präzisiert hatte. Das Reskript fügt substantiell wenig Neues hinzu, erhöht aber den Druck auf die Diözesanbischöfe, denen bei Bedarf und nicht genauer Umsetzung der Vorwurf des Ungehorsams gemacht werden kann. Aus der Perspektive eines Jesuiten, der Papst Franziskus ist, ist das ein gewichtiger Punkt, der von Oberen durch Sanktionen bestraft werden kann, gnadenlos.
Zur Erinnerung:
- Die italienischen Bischöfe leisteten zusammen mit den deutschen Bischöfen den massivsten Widerstand gegen die Anweisung von Papst Benedikt XVI., die Wandlungsworte „pro multis“ in der Volkssprache als „für viele“ wiederzugeben.
- Am 3. September 2017 bestätigte Papst Franziskus mit seinem Motu proprio Magnum principium faktisch diese Obstruktionshaltung, indem er den Bischofskonferenzen Zuständigkeiten bei der Übersetzung der liturgischen Bücher in die Volkssprachen übertrug. Kardinal Sarah hatte kraftvoll vor einer Entwicklung in der Kirche gewarnt, von der er hinter den Kulissen schon mehr wußte und klarer sah als die Öffentlichkeit.
- Im Sommer und Herbst 2018 bliesen italienische Bischöfe zum Angriff auf das Motu proprio Summorum Pontificum, indem sie ein Wort von Papst Franziskus aufgriffen, der in den Jahren zuvor mit zunehmender Insistenz verdeutlicht hatte, daß er „Prozesse anstoßen“ wolle, die „irreversibel“ sind. Eine starke Fronde der Italienischen Bischofskonferenz betonte, daß die nachkonziliare Liturgiereform „irreversibel“ sei und dies auch allen in der Kirche klar sein müsse bzw. klargemacht werden solle. Parallel griff auch Andrea Grillo, der Hausliturgiker von Papst Franziskus, Summorum Pontificum an.
- 2019 sprach der päpstliche Hausliturgiker Andrea Grillo öffentlich aus, was hinter den Kulissen vorbereitet wurde: Der Zugang zum überlieferten Ritus müsse eingeschränkt werden. Das Haupthindernis war, daß mit Benedikt XVI. der Papst von Summorum Pontificum noch lebte, zwischen den und Papst Franziskus – laut offizieller vatikanischer Linie – angeblich kein Blatt Papier paßte. Franziskus zögerte. Hinzu kam im Januar 2020 der aktive Griff nach der Handbremse durch Kardinal Sarah und Benedikt XVI. gegen den Versuch, im Zuge der Amazonassynode das Weihesakrament und den priesterlichen Zölibat aufzuweichen.
- Ein Jahr später war im päpstlichen Umfeld zu vernehmen, daß für Papst Franziskus feststand, daß Benedikt XVI. zu schwach geworden war, um sich noch einmal gegen ihn aufbäumen zu können. Seither ging es Schlag auf Schlag.
- Am 20. Februar 2021 wurde Robert Kardinal Sarah, ein Freund des überlieferten Ritus, als Präfekt der Gottesdienstkongregation entbunden.
- Am 27. Mai 2021 ernannte Papst Franziskus den erklärten Gegner des überlieferten Ritus, Erzbischof Arthur Roche, zum neuen Präfekten der Gottesdienstkongregation.
- Am 16. Juli 2021 erließ Papst Franziskus das Motu proprio Traditionis custodes, mit dem er die Motu proprien Summorum Pontificum von 2007 und Ecclesia Dei von 1988 annullierte und den unter Benedikt XVI. freigegebenen überlieferten Ritus unter Peitschenhieben wieder in ein enges Gehege zurückjagte. Traditionis custodes hatte die primäre Aufgabe, die Ausbreitung des überlieferten Ritus und des damit verbundenen Kirchenverständnisses auf den Weltklerus und Ordenspriester neuritueller Orden nicht nur einzudämmen, sondern abzuwürgen.
- Am 27. August 2021 belohnte Franziskus Msgr. Roche für die Zertrümmerung des überlieferten Ritus mit der Kardinalswürde und übertrug ihm die römische Titeldiakonie San Saba.
- Am 18. Dezember 2021 veröffentlicht der Heilige Stuhl Responsa ad dubia (Antwort auf Zweifel) durch Kardinal Roche, den neuen Präfekten der Gottesdienstkongregation zu Traditionis custodes. Darin wurde unterstrichen, daß Traditionis custodes „notwendig“ geworden sei, um die „Einheit“ der Kirche und „des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens“, wodurch implizit noch einmal unterstellt wurde, daß der überlieferte Ritus und die ihm verpflichteten Priester und Gläubigen „die Einheit“ stören, ja gefährden. Der Verweis auf den Epheserbrief, daß die Bekämpfung des überlieferten Ritus und die Zerschlagung von Summorum Pontificum Ausdruck eines „Bandes des Friedens“ sei, wurde als blanker Hohn empfunden. Bekanntlich braucht, wer den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen.
Die Responsa bekräftigten zudem, daß die nachkonziliare Liturgiereform – nachkonziliar und nicht konziliar, wie oft behauptet wird, weil sie nicht vom Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen, sondern nachträglich geschaffen wurde – „unumkehrbar ist“. Papst Franziskus hatte spätestens 2017 zu verstehen gegeben, daß er „Prozesse anstoßen“ will, die „irreversibel“ sind. Da war es wieder, das Zauberwort. - Die Reaktion der Diözesanbischöfe fiel unterschiedlich aus. Radikalen Gegnern des überlieferten Ritus wie Andrea Grillo war dies zu wenig. Auf Papst Franziskus wurde eingewirkt, Maßnahme und Tempo zu verschärfen. In der Schublade lagen bereits vorbereitete Entwürfe, um die Tradition bis zur Unkenntlichkeit zurückzustutzen. Franziskus wollte die Schublade mit Blick in Richtung Mater Ecclesiae, Alterssitz von Benedikt XVI., noch nicht öffnen.
- Am 31. Dezember wurde der deutsche Papst abberufen. Entsprechend schnell traten Gerüchte auf, daß nun gegen die Vertreter der Tradition mit eiserner Faust vorgegangen werde. Es war ein Triumphgeheul, das zu sehr mit dem Tod des von manchen verachteten Benedikt verbunden schien.
- Das heute veröffentlichte Rescriptum deckt nur einen Teil der Gerüchte über Maßnahmen gegen den überlieferten Ritus ab. Diese Gerüchte waren entweder unzutreffend oder, was mit dem heutigen Tag wahrscheinlicher geworden ist, folgt demnächst in einem gesonderten Schritt ein weiterer Angriff gegen die sogenannten Ecclesia-Dei-Gemeinschaften.
Das Rescriptum legt am Rande auch eine beachtliche Heuchelei progressiver Kirchenkreise offen, die unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ziemlich unbegründet gegen einen angeblichen „römischen Zentralismus“ wetterten. Erst unter Papst Franziskus erlebte dieser Zentralismus eine Radikalisierung und konzentriert heute in Rom alleinige Zuständigkeiten in bisher ungeahntem Ausmaß. Man denke an die kanonische Errichtung von neuen Gemeinschaften und Orden und besonders natürlich im Zusammenhang mit dem überlieferten Ritus. Es ist nicht zu erwarten, daß diese Kreise, die durch Jahrzehnte gegen den polnischen und den deutschen Papst polemisierten, die Autorität dieser beiden Nachfolger des Petrus unterminierten und sie teils auch persönlich diskreditierten, ein Wort der Kritik gegen den neuen zentralistischen Exzeß äußern werden.
Das heutige Reskript liefert einen weiteren Beweis dafür, daß Papst Franziskus von einem tiefen ideologischen Impetus angetrieben ist, wenn es um den überlieferten Ritus geht. In den zahlreichen Wortmeldungen und Gesten seines bald zehnjährigen Pontifikats im Zusammenhang mit der Liturgie, dem überlieferten Ritus und der Tradition findet sich kein Hinweis irgendeiner Wertschätzung.
Eine vermeintliche „Großzügigkeit“, wie er sie Anfang 2022 gegenüber den Ecclesia-Dei-Gemeinschaften (konkret der Petrusbruderschaft) zeigte, sollte mehr als taktische Maßnahme gelesen werden, weil sich Franziskus, wie schon aus seiner Zeit in Buenos Aires bekannt ist, möglichst nicht zu viele Feinde schaffen will, weil er darin eine Einschränkung seines Handlungsspielraums sieht.
Ein Jäger kann auf einen Schlag nicht eine ganze Herde erlegen. Er kann sie aber jeden Tag dezimieren.
Bild: Tempio di Maria (Screenshot)