30.12.2017 – 6. Tag der Weihnachtsoktav

Kommentar zum heutigen Evangelium 
Hl. Petrus Chrysologus (um 406-450), Bischof von Ravenna, Kirchenlehrer
147. Predigt über das Geheimnis der Menschwerdung

Schließlich sah Hanna Gott in seinem Tempel

Wie kann der Mensch, dessen Blickwinkel doch so begrenzt ist, diesen Gott ins Auge fassen, den die Welt nicht fassen kann? Die Liebe macht sich darüber keine Gedanken, ob etwas sicher, angemessen oder möglich ist. Die Liebe […] achtet nicht auf das Maß. Sie lässt den Vorwand nicht gelten, dass etwas unmöglich ist, von Schwierigkeiten lässt sie sich nicht aufhalten […] Die Liebe vermag nicht, das nicht zu sehen, was sie liebt […] Wie kann man sich von Gott geliebt wissen, wenn man ihn nicht betrachtet? So ist die Liebe, die Gott sehen will, zwar nicht vernünftig, entspringt aber einer Eingebung des Herzens. Deshalb wagt Mose zu sagen: „Wenn ich also Gnade in deinen Augen gefunden habe, so zeige mir dein Angesicht“ (Ex 33,13 (Vulg.)), und der Psalmist bittet: „Gott, lass dein Angesicht leuchten“ (vgl. Ps 79(80),4) […]

Gott weiß ja, dass sich die Menschen nach seinem Anblick sehnen. Deshalb hat er sich auf eine Weise sichtbar gemacht, die eine große Wohltat für die Erdenbewohner darstellt, ohne dass damit dem Himmel etwas verloren ginge. Konnte denn das Geschöpf, das Gott als sein Abbild auf Erden geschaffen hatte, im Himmel als wenig ehrenwert gelten? Er hatte gesagt: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“ (Gen 1,26) […] Wenn Gott vom Himmel die Gestalt eines Engels entlehnt hätte, wäre er, wie dieser, unsichtbar geblieben. Hätte er andrerseits auf Erden die Gestalt eines Wesens angenommen, das einen niedrigeren Rang hat als der Mensch, so hätte er die Göttlichkeit beleidigt und den Menschen, statt ihn zu erheben, erniedrigt. Dass Gott als Mensch zu den Menschen gekommen ist, geliebte Brüder, dass er sich der Möglichkeit bedient hat, von uns gesehen zu werden – das soll niemand als eine Beleidigung Gottes ansehen!

Quelle: Archiv der Herz Jesu Franziskaner

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert