Der Kronprinz lässt Aktivistinnen quälen

In Riad: Frauen in Saudi-Arabien leben ein unterdrücktes und von Männern weitgehend separiertes Leben. © Sean Gallup/Getty Images

Saudi-Arabien

Schwere Vorwürfe von Menschenrechtlern: Saudische Aktivistinnen und ihre Angehörigen werden in der Haft misshandelt. Für Saudi-Arabien die nächste internationale Krise

Von Martin Gehlen

Das Gewaltregime von Kronprinz Mohammed bin Salman in Saudi-Arabien macht auch vor Frauenrechtlerinnen nicht halt. Nach dem staatlich angeordneten Mord an Jamal Khashoggi werfen Amnesty International und Human Rights Watch dem saudischen Kronprinzen jetzt vor, prominente Aktivistinnen und ihre männlichen Mitstreiter im Gefängnis foltern und seelisch misshandeln zu lassen.

Die vor sechs Monaten festgenommenen Aktivistinnen, die in der Haftanstalt Dhahban nahe der Hafenstadt Dschidda eingesperrt sind, seien mit Stromstößen traktiert und mit Kabeln geprügelt worden. Ihre maskierten Peiniger hätten sie zwangsweise umarmt oder geküsst sowie wochenlang in Isolierhaft gehalten – auch für Saudi-Arabien eine bisher beispiellose Quälerei von regimekritischen Frauen. Eine weibliche Gefangene habe mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Andere könnten sich nicht mehr richtig auf den Beinen halten oder litten unter heftigem Zittern ihrer Hände, erklärte Amnesty.

Obendrein seien bei den Opfern Kratzer und gerötete Stellen im Gesicht sowie an den Handgelenken zu sehen. Mindestens ein Aktivist soll während des Verhörs an der Decke des Raums aufgehängt worden sein. „Ich war auch im Gefängnis, aber niemand hat mir so etwas angetan“, erklärte Manal al-Sharif, die heute in Australien lebt und im letzten Jahr ein Buch über ihren Kampf für Frauenrechte in Saudi-Arabien veröffentlichte. „Das ist eine enorme Verschiebung und wirklich schockierend.“

Verhaftete sollen vor Terrorgerichtshöfe

Die Menschenrechtsorganisationen berufen sich bei ihren brisanten Vorwürfen auf mehrere Zeugenaussagen, die nach Angaben derWashington Post aus dem Dhahban-Gefängnis selbst sowie aus dem persönlichen Umfeld der gefolterten Frauen und Männer stammen. „Nur wenige Wochen nach dem kaltblütigen Mord an Jamal Khashoggi zeigen diese schockierenden Berichte über Folter, sexuelle Übergriffe und andere Formen von Misshandlungen, falls sie sich bewahrheiten sollten, weitere empörende Menschenrechtsverletzungen der saudischen Regierung“, erklärte Lynn Maalouf, Amnesty-Direktorin für den Nahen Osten.

Mindestens vier Frauen und fünf Männer, die jahrelang gegen die systematische Diskriminierung von Frauen in Saudi-Arabien gekämpft hatten, wurden im Mai verhaftet, vier Wochen vor dem Ende des königlichen Fahrverbots für Frauen. Zu dieser Gruppe gehören unter anderem die 29-jährige Loujain al-Hathloul, die zuvor von saudischen Agenten mit Gewalt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zurückgeholt worden war, sowie die emeritierte Professorin der König-Saud-Universität und Mutter von fünf erwachsenen Kindern, Aziza al-Yousef.

Vier weitere Aktivistinnen, eine von ihnen Samar Badawi, die Schwester des seit sechs Jahren inhaftierten Bloggers Raif Badawi, kamen im Juni und August hinter Gitter. Ein Protest-Tweet gegen die Inhaftierungen von Chrystia Freeland, der Außenministerin Kanadas, wo Raif Badawis Frau und die drei Kinder im Exil leben, löste auf Betreiben von Mohammed bin Salman ein diplomatisches Zerwürfnis zwischen Riad und Ottawa aus. Der kanadische Botschafter wurde ausgewiesen, der saudische Missionschef aus Kanada abgezogen.

Alle verhafteten Frauenrechtlerinnen und ihre männlichen Unterstützer sollen vor einen der berüchtigten Terrorgerichtshöfe gestellt werden, wo ihnen Haftstrafen bis zu 20 Jahren drohen. Bisher jedoch gibt es keine einzige offizielle Anklageschrift. Dafür druckten regierungstreue Zeitungen in einer staatlich organisierten Schmutzkampagne ihre Fotos mit roten Stempeln „Verräter“ quer über dem Gesicht.

Editorials bezichtigten die Verfemten, unentschuldbare Verbrechen begangen zu haben und Agenten ausländischer Botschaften zu sein. „Wer immer das Heimatland für eine Handvoll Geld verscherbelt, hat keinen Platz unter uns“, hieß es in den landauf, landab gedruckten Hetzartikeln. Andere forderten kurzerhand, alle mit dem Schwert hinzurichten.

Die Botschaft des international stark unter Druck geratenen Kronprinzen an seine eigenen Landsleute daheim ist damit klar: Bürgerrechte in Saudi-Arabien werden von oben gewährt und nicht von unten erkämpft. Politischer Aktivismus und offene Reformdebatten sind tabu in der absolutistischen Monarchie auf der Arabischen Halbinsel. Denn das Thema Autofahren ist ja nicht das einzige Diskriminierungsproblem.

Praktisch in allen Lebensbereichen haben Väter, Ehemänner, Onkel oder Söhne das Sagen. Zwar wurden einige wenige Bestimmungen des drakonischen Vormundschaftsrechts in letzter Zeit etwas gelockert. Doch nach wie vor dürfen Frauen ohne Einwilligung ihres männlichen Vormunds weder heiraten noch ein Studium beginnen, weder reisen noch einen Pass beantragen oder sich einem medizinischen Eingriff unterziehen.

Quelle: zeit.de

 

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