Erdogan gehen die Trumpfkarten aus

Kathedrale Hagia Sophia in Moschee umgewandelt

Die Wirtschaft kommt nicht aus der Krise, seine eigene Partei schwächelt, die Jugend wendet sich zunehmend von ihm ab: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht innenpolitisch derzeit gleich vor mehreren Herausforderungen. Mit der international heftig kritisierten Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee spielt der Staatschef nun eine seiner letzten Trumpfkarten aus. Dass der Schritt das System Erdogan langfristig retten kann, wird von Beobachtern bezweifelt.

Im Moment sitzt Erdogan fest im Sattel. Die Popularitätswerte des Präsidenten sind während der Coronavirus-Krise sogar noch gestiegen. Der Kollaps des türkischen Gesundheitssystems konnte von den Behörden verhindert werden. Knapp 215.000 CoV-Fälle wurden Daten der Johns Hopkins University zufolge bisher bestätigt, rund 5.400 Menschen starben infolge der Infektion.

Aus wirtschaftlicher Sicht traf die Pandemie das Land zur Unzeit. Nach zwei Jahren Rezession zeigte die Wirtschaft Anzeichen einer Erholung. Die Ausbreitung des Virus hat die positive Entwicklung gestoppt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, zudem tut sich die Regierung schwer damit, die Inflation in den Griff zu bekommen.

Überdies wirkt sich die Pandemie direkt auf den für die Türkei so wichtigen Fremdenverkehr aus. Reisewarnungen und die Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit CoV haben die Zahl der Gästeankünfte aus dem Ausland in den ersten fünf Monaten des Jahres um zwei Drittel einbrechen lassen. Der Sommertourismus ist bisher nur schleppend angelaufen.

Protzerei und Korruption

Zur ökonomischen Krise des Landes kommt für Erdogan die Krise seiner Partei. Die islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) ist seit fast zwei Jahrzehnten durchgehend an der Macht. Ihre Repräsentanten geben sich zusehends weniger Mühe, ihren angehäuften Reichtum und ihre Privilegien zu verschleiern. Im November des Vorjahres sorgten der ehemalige Gesundheitsstaatssekretär Ahmet Emin Söylemez und seine Ehefrau mit einer prunkvollen Feier anlässlich der Geburt ihres Kindes für Aufregung. Das Neugeborene bekam während des Festes einen Brillantring an den Finger gesteckt.

Bei den Kommunalwahlen im Vorjahr verlor die AKP unter anderem die Bürgermeisterposten in Istanbul und Ankara. Seit die Opposition in den beiden Großstädten am Ruder ist, kommen immer mehr Korruptionsfälle der Vorgängerregierungen ans Licht. In der Metropole Istanbul, wo Erdogan in den 1990ern selbst Stadtchef war, führen die Spuren ins engste familiäre Umfeld des Präsidenten.

Recep Tayyip Erdogan 

In Istanbul führt die Spur der Korruption direkt in Erdogans familiäres Umfeld

Hinzu kommt: Das Versprechen an die Mittelschicht, mit harter Arbeit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen, gilt längst nicht mehr. Ohne AKP-Parteibuch bleibt der Zugang zu Führungspositionen in Unternehmen oder im öffentlichen Dienst verwehrt. Umgekehrt können einem die richtigen Kontakte fast alle Türen öffnen: Ein besonders krasses Beispiel ist Medienberichten zufolge der Führungszirkel des türkischen Vorzeigeunternehmens Turkish Airlines, in dem mehrere Mitglieder frühere Schulkollegen von Erdogans Sohn Bilal (39) sein sollen.

Quelle: orf.at Ph. Pfleger Bild: orf.at (Screenshot)

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